Zum Auftakt des Seminars eine ergänzende Veranstaltung am Vorabend
Vortrag und Diskussion
mit Christoph Rosenthal
Freitag, 20. April 2007, 19.30 h
Mainz, ESG, Gonsenheimer Spieß 1,
(Erdgeschoss)
Eine Veranstaltung des
Bildungswerks Hessen der DFG-VK
Das heute immer noch vorherrschende WeltBild stellt die Realität auf den
Kopf. Seit der zivilisatorischen Kultur ist man mit dem Problem der Existenzsicherung beschäftigt, nicht etwa in der ursprünglichen Kultur des homo sapiens...
Man geht heute in der Forschung davon aus, dass der Mensch in der
ursprünglichen Kultur durchschnittlich vier Stunden pro Tag für seine Reproduktion brauchte, also nicht nur für den Bereich der Ernährung, sondern auch für den Bereich des Wohnens, der Kleidung und der Kinderaufzucht usw. Tatsächlich kann gesagt werden, dass der Umschlag vom Tier zum Mensch an dem Punkt evolutionär erreicht wurde, wo der kulturelle Bereich zum Vorherrschenden gegenüber der Existenzsicherung geworden war, und dies
lag noch vor der Entstehung des homo sapiens. Die Kulturen vor dem Ende der Eiszeit lebten zwar - und dies mit Absicht - materiell einfach. Doch es ergibt sich heute die Einsicht, dass in kultureller Hinsicht - was den Gesamtkomplex Kultur angeht - bis heute nirgends in der Welt mehr das kulturelle Niveau der paläolithischen Kultur erreicht worden ist. Es waren die gravierenden Konsequenzen des Endes der Eiszeit, wo auch ganze Tierarten ausstarben, die in einer historisch relevanten Ausbreitung zu Krisen- und gar Notstandsverhältnissen führten, und es kam mit der "zivilisatorischen Kultur" gar dahin, dass man die Notstandsprobleme und Notstandsverhaltensformen
kultivierte und entwickelte, in der in einem autoritären Kult-Komplex ("Staat/Ökonomie") die Bevölkerung als entsprechend "gebildete" "Arbeitstiere" gehalten werden.
Die paläolithische Kultur war demgegenüber wesentlich von kulturellen
Aktivitäten bestimmt, und es ist anhand der Relikte in den eiszeitlichen Höhlen in Frankreich und Spanien inzwischen deutlich geworden, zu welch abenteuerlichen Experimenten man damals aufgelegt und fähig war. Man hat damals z.B., ohne dass hier bislang damalige Unfälle bekannt geworden sind, die Höhlensysteme in einem Ausmaß erforscht, wie dies erst in jüngster Zeit mit modernster Technologie wieder erreicht worden ist. Doch es wäre verkehrt, in solchen Leistungen oder in dem dort ersichtlichen Ausmaß an künstlerischen Aktivitäten schon das Eigentliche der paläolithische Kultur zu begreifen.
Das Leben im Paläolithikum bedeutete keine Idylle, es bedeutete vielmehr
die Fähigkeit, das Leben als Raum der Erfüllung aufzunehmen und zu entwickeln. Insofern stand im Zentrum der paläolithischen Kultur die Entwicklung der persönlichen Individualität und zu wirklich persönlichen Beziehungsverhältnissen, von Konflikt- und Liebesfähigkeit, um als tatsächliche Subjekte zu gemeinschaftlichen Koordinationsverhältnissen fähig zu sein. So ist etwa die Geschlechtsrollenlogik in dieser Form mitnichten ein Erbe der
Biologie und der paläolithischen Kultur, sondern eine Regression aufgrund der
Notstandsprobleme am Ende der Eiszeit mit entsprechend schwerwiegenden soziokulturellen Problemen.
Die Bedeutung der Auseinandersetzung mit der paläolithischen Kultur als der originären Kultur des Menschen kann nicht wirklich in einigen Sätzen und Minuten erläutert werden.
Doch sie bietet auf jeden Fall einige Anregungen in Bezug auf eine kreativ-emanzipative Kultur. Wesentlicher dürfte jedoch zunächst sein, dass erst von hier aus das wirkliche und immer noch bestehende Ausmaß an Konfusion, Aberglauben und Ideologie der neolithischen Notstandskultur "Zivilisation" in unserem Bewusstsein ersichtlich wird, in dem wir uns bislang stärker in der Erschließung des vorhandenen Potentials in der Entwicklung von Kultur als Leben und Menschsein im Wege stehen (Zivilisation ist das Kultivieren von selbst verschuldeter Unmündigkeit, Verdrängung und Selbst-Zerstörung...).
Der Vortrag wird nicht in längerer akademischer Form geboten. Es sollen vielmehr ein paar Zugänge zu dieser Thematik und Auseinandersetzung eröffnet werden, um damit Raum für Fragen und für die Auseinandersetzungen zu bieten.
Referent: Christoph Rosenthal, Kulturologe/ Historiologe, beschäftigt
sich seit 1980 mit dem humanwissenschaftlichen Komplex und mit der Entwicklung von kulturellen Projekten