Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Mainz-Wiesbaden

Stoppt den Ukraine-Krieges

In einem offenen Brief von Ende April haben Prominente, darunter Gerhard Polt, Reinhard Mey und Alice Schwarzer, an Kanzler Scholz appelliert, in Bezug auf den Ukraine-Krieg so schnell wie möglich einen Waffenstillstand herbeizuführen und einen „Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können“. Zwei Grenzlinien seien nach ihrer Überzeugung erreicht: Die erste ist: Sie warnen vor dem manifesten Risiko einer Eskalation des Krieges zu einem atomaren Konflikt und weisen eindringlich darauf hin, dass Deutschland Kriegspartei wird. Denn ein russischer Gegenschlag könnte den Beistandsfall der NATO und somit einen Weltkrieg auslösen. Die zweite Grenzlinie betrifft das Ausmaß an Zerstörung und das Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung. Sie warnen davor zu glauben, dass die Verantwortung für eine mögliche Eskalation zum Atomkrieg allein der Aggressor trägt. Und sie warnen davor, dass die Entscheidung über die moralische Verantwortbarkeit der weiteren Kosten an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung nur in die Zuständigkeit deren Regierung falle. Sie warnen ebenfalls vor eskalierender Aufrüstung, mit fatalen Folgen für die globale Gesundheit und den Klimawandel und rufen dazu auf, auch angesichts unserer (Wirschafts-) Macht und unserer historischen Verantwortung, einen weltweiten Frieden anzustreben. Soviel zum offenen Brief.

Doch der Ukraine-Krieg hat weitere sehr ungute Folgen: Die Getreidekrise, ausgelöst durch nicht bestellte Felder in der Kornkammer Europas, der Ukraine und verstärkt durch russische Bombardements von ukrainischen Kornspeichern, Feldern und Häfen, droht die ohnehin sich verschlimmernde Welthungerkatastrophe voranzutreiben. Nun ist zu erwarten, dass die finanzstarken Länder der Welt sich die Getreidevorräte sichern, auch um sie als Tierfutter zu nutzen, und in den armen Ländern des Südens der Hunger zunimmt. Auch die Klimakatastrophe droht sich zu verschärfen, weil das Problem aus dem Blick gerät.

Ein Forschungsbericht des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) von 2021 führt aus: »Konflikte haben direkte negative Auswirkungen auf Ernährungssysteme. In den meisten bewaffneten Konflikten des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts haben Kriegsparteien Nahrung als Waffe eingesetzt und Nahrungsmittelsysteme absichtlich zerstört, anhaltende Ernährungsunsicherheit ist deshalb eine Hauptfolge von Kriegen«.

Der Hunger, den Russland absichtlich auslöst, wird aber nicht nur die Bevölkerung der Ukraine treffen. »Die Russische Föderation und die Ukraine gehören zu den wichtigsten Produzenten landwirtschaftlicher Güter weltweit«, so ein Warnschreiben der Food and Agriculture Organization (FAO) der Uno von Ende März. Beide Länder zusammen exportierten vor dem Krieg etwa die Hälfte des global hergestellten Sonnenblumenöls und 14 Prozent des Weizens, außerdem 19 Prozent der Gersten- und vier Prozent der Maisernte.

Dürren, bedingt durch Klimaveränderungen, sowie bewaffnete Konflikte und die Covid-Pandemie führen zu Lebensmittelknappheit, etwa im Jemen. Darunter sind Länder, deren Versorgung von Russland und der Ukraine abhängig ist, wie Syrien, Äthiopien und Afghanistan.

Nicht von Kriegshandlungen direkt betroffen aber abhängig von Getreide aus der Ukraine und Russland sind der Libanon und Ägypten sowie Somalia.

„Aufgrund knapper werdender Ressourcen muss sich die Welt in Zukunft auf Rohstoff-Kriege einstellen“, so eine Studie der Transatlantic Academy aus dem Jahr 2012. Weiter heißt es dort: „Die Leitidee des westlichen Luxuslebens und des Wirtschaftswachstums, das sich auf einen immer stärkeren Ressourcen-Verbrauch gründe, müsse überdacht werden“. Wie sich Rohstoff-Kriege noch verhindern lassen „Gewaltsame Auseinandersetzungen und regelrechte Kriege um die verbleibenden Nahrungsquellen, landwirtschaftlich nutzbaren Böden und bewohnbaren Flächen“ werden vorausgesagt. Es wird Kriege wie in Libyen, Syrien und dem Jemen geben: „Manche Leute werden bleiben und um ihr Überleben kämpfen; andere werden abwandern und so gut wie sicher auf wesentlich gewaltsamere Formen jener Feindseligkeit stoßen, die Einwanderern und Flüchtlingen in ihren Zielländern heute schon entgegenschlägt. Somit würde es unausweichlich zu einer weltweiten Epidemie von Bürgerkriegen und anderen gewalttätigen Auseinandersetzungen um Ressourcen kommen“, heißt es in „Klima und Krieg“ von Michael T. Klare aus: »Blätter« Seite 45-50: Klima und Krieg Krieg erhält das klimaschädliche kapitalistische System und ist selbst klimaschädlich, allein durch die jetzt spürbare mangelnde Fokussierung auf den Klimaschutz. Krieg und Erderhitzung, beides fördert den Welthunger.

Die völkerrechtswidrigen Angriffskriege der westlichen Welt wie der Krieg gegen den Irak, der mit der Kriegslüge, Saddam Hussein hätte Massenvernichtungswaffen, begann, das Desaster des auch von unserer Seite äußerst grausam geführten Afghanistan-Kriegs oder die massiven deutschen Waffenexporte der letzten Jahrzehnte, aber auch die strukturelle Gewalt in Form von einseitiger Förderung unseres Wohlstands gegen die südlichen Länder der Erde zeigen, dass auch der Westen, auch Deutschland, keine weiße Weste hat.

Im Norden der Erde werden Kriege, Klimawandel und Flucht produziert. Unter den Folgen leiden muss vor allem der globale Süden. Nur fünf Jahre bleiben uns, dann könnte die Erhitzung der Erde um 1,5°C und damit die Kipppunkte erreicht sein, wenn wir so weitermachen, und die Erhitzung würde sich ab dieser Marke radikal beschleunigen.

Das Abbremsen der Erdüberhitzung, das Bekämpfen von Krieg und die Welthungerproblematik zu verflechten liegt nahe.

Nun möchte ich noch einmal auf den Krieg in der Ukraine zu sprechen kommen. Die aktuellen Nachrichten sind weiterhin grauenvoll: Viele Tote und Verletzte, Millionen auf der Flucht, Städte ohne Strom und Wasser – die Zeichen stehen auf Konfrontation.

Und auch Deutschland unterstützt die ukrainische Seite militärisch.

Vor zwei Jahrzehnten haben wir schon an Infoständen des Arbeitskreises Tschetschenien in München vor Putin gewarnt, und machten auf seinen grausamen Tschetschenienkrieg aufmerksam, bei dem Russland hohe Summen erpresste, wenn es tschetschenische Gefangene, aber auch Kriegstote ihren Familien gegen ein hohes Lösegeld anbot. In der tschetschenischen Kultur ist es sehr wichtig, dass sie ihre Toten selbst bestatten. Und nach Lösegeldzahlung fand die versprochene Übergabe der Gefangenen bzw. Toten oft nicht statt. Unsere wohl wichtigste Informationsquelle, die russische Journalistin Anna Politkowsakaja von der Nowaja Gaseta, die unermüdlich für Frieden in Tschetschenien warb und gegen Putins grausamen Krieg aufklärte, wurde eines Tages von Unbekannten erschossen. Schon damals stand Putin für uns in der Friedensbewegung für Krieg und Mord.

Doch wir, die westlichen Länder einschließlich Deutschland, ignorierten dies und machten lukrative Geschäfte mit Putin, ohne auf die Einhaltung von Menschenrechten und auf ein Ende seiner Kriege zu dringen.

Es scheint sich zu wiederholen: Russische Soldaten, die teilweise noch halbe Kinder sind, werden heute in der Ukraine wie im Tschetschenienkrieg als Kanonenfutter verheizt. Man spricht von „Putins Kinderarmee“ aus den armen Regionen Russlands. Viele sind erst um die 18 Jahre alt.

Und die ukrainische Seite ist dem Bombenterror von Putins Krieg ausgesetzt. Dies betrifft alle Menschen in der Ukraine, auch solche, die sich nichts sehnlicher als ein sofortiges Kriegsende wünschen: Männer, Frauen, Kinder. Doch sie können nicht über ein Ende des Kriegs mitentscheiden.

Es sind andere, die entscheiden, dass immer weitergekämpft wird. Und wir, die westlichen Länder, auch Deutschland, liefern Waffen. Doch wo führt das hin? Leid und Tod, auf beiden Seiten, immer mehr Verletzte und Traumatisierte. Der Wunsch nach Rache. Hass und Trauer. Hunger und Versorgungsengpässe bei Trinkwasser und Strom, mit allen erdenklichen Folgen.

Waffenlieferungen erschweren den Weg zum Verhandlungstisch. Sie tragen keineswegs zu einem Kriegsende bei. Stattdessen verhärten sie die Fronten. Doch ist eine friedliche Lösung überhaupt gewollt?

Man kann es nicht deutlich genug sagen: Russlands Staatschef Putin hat den Angriffskrieg begonnen und ist Aggressor.

Doch offenbar geht es nun allein darum, Geländegewinne zu machen Das gilt sowohl für die russische Seite als auch für die ukrainisch-westliche. Und der westlichen Seite geht es um die Westbindung der Ukraine.

Beide Seiten, die russische und die ukrainische, unterstützt von westlichen Ländern einschließlich Deutschland, denken außerordentlich nationalistisch.

Keine der Seiten hat die Menschen und ihr Wohl im Blick. Man hört beidseits Drohungen und Beleidigungen statt diplomatischer Bemühungen.

Wir fordern, dass die Verantwortlichen sich mit aller Macht um ein sofortiges Ende der Kämpfe bemühen. Wir fordern, dass sofort Verhandlungen stattfinden und eine schriftlich fixierte Friedenslösung angestrebt wird, auf die sich beide Seiten einigen können,

auch wenn beide Seiten hierfür von ihren Maximalforderungen abrücken müssen.

Wir fordern am heutigen Tag der Kriegsdienstverweigerung Asyl für Deserteurinnen und Kriegsdienstverweigerinnen. Erwähnenswert als Friedensorganisation sind die Russischen Soldatenmütter, die in Russland Mütter von Soldaten beraten, die sich um ihre Kinder sorgen.

Wir fordern weltweites Abrüsten, verhandeln statt schießen, Früherkennung von Konflikten ernst nehmen, Diktaturen nicht aufrüsten wie bisher, sondern Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fördern, Armut bekämpfen und die Klimafrage nicht außer Acht lassen. Nichts und niemanden vergessen, keinen Menschen, welcher Herkunft auch immer, und auch bei der Gewalt gegen Tiere nicht wegschauen! Weg von der Logik der Gewalt!

Unsere Waffenlieferungen zögern das Kriegsende hinaus. Drängen wir die Verantwortlichen zum Verhandlungstisch, begleitet von wohlüberlegten Sanktionen. Jeder Tote, jede Tote ist eine zu viel!

Veronika Gielow, Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsgegner*innen (DFG-VK)

Letztes Update: 16.05.2022, 20:49 Uhr