Ostermarsch in Mainz, 23. April 2011
Mit vielen Jahren Verspätung ist es nun so weit: Im Januar wurden auf absehbare Zeit zum letzten Mal Menschen zwangsweise zu Bundeswehr oder Zivildienst einberufen. Zum 1. Juli wird die soÂgenannte Wehrpflicht ausgesetzt.
Ich sage sogenannte Wehrpflicht, denn Wehrpflicht und WehrÂdienst suggerieren, dass das Militär der Verteidigung diene. Allerdings haben sogenannte WehrÂdienstleistende, vor allem deutsche, schon viele Angriffskriege geführt. Im Verhältnis zwischen Individuum und Staat ist der Begriff ebenfalls abwegig. Wehrdienst leisten gerade diejenigen, deÂnen es nicht gelingt, sich gegen die Zwangsrekrutierung zum Militär erfolgreich zu wehren.
Junge Männer deutscher Staatsangehörigkeit können sich freuen: Für absehbare Zeit werden sie aufgrund des Kriegsdienstzwangs nicht mehr zwangsweise entwürdigenden Musterungen unterÂzogen, mit der Gewissensprüfung gequält, in die Bundeswehr oder in den Zivildienst gezwungen, in ArÂrestzellen der Bundeswehr oder Gefängnisse gesperrt. Ein wertvoller Freiheitsgewinn.
Doch der Zwang ist nur ausgesetzt, nicht abgeschafft. Der deutsche Staat droht im Grundgesetz und im Wehrpflichtgesetz, das es immer noch gibt, den weiterhin als „wehrÂpflichtig“ Geltenden, damit, sie gegen ihren Willen zum Kriegsdienst zu zwingen und damit ihre Rechte auf Leben, FreiÂheit, körperliche Unversehrtheit sowie ihre Freiheit auf Wahl von Beruf und WohnÂort zu missachÂten. Der Staat verzichtet lediglich vorläufig darauf, diesen Anspruch durchzuÂsetzen und sie zu mustern und einzuberufen. Die Meldebehörden versenden jetzt noch Schreiben, in denen sie den sogenannten Wehrpflichtigen u.a. mitteilen, dass es genehmigungspflichtig sei, wenn sie länger als drei Monate die Bundesrepublik Deutschland verlassen wollen. Mit dem Spannungs- oder VerteiÂdigungsfall tritt der Zwang automatisch wieder in Kraft.
Der Kriegsdienstzwang ist nicht ausgesetzt worden, um dem Frieden näher zu kommen oder um eine gravierende Menschenrechtsverletzung zu beenden. Es geht darum, mit einer verÂkleinerten und umstrukturierten Bundeswehr effizienter Krieg zu führen. Der Zwangsdienst hatte sich für diesen Zweck als unnötig erwiesen. Jahrelang war er von SPD und CDU/CSU vor allem aus ideologischen Gründen beibehalten worden. Das wurde auf Dauer zu teuer. Und es fiel immer schwerer, diesen massiven Eingriff ins Leben junger Männer zu rechtfertigen.
Seit den 1990er Jahren wird die Bundeswehr umstrukturiert: Zuvor war die Bundeswehr für einen potenziellen Krieg in Mitteleuropa gedacht. Heute ist sie weltweit aktiv. Die Marine war für Nord- und Ostsee ausgestattet. Heute wird sie für globale Einsätze vor weit entfernten Küsten ausgerüstet. Während des Ost-West-Konflikts hatten Bundesheer und Bundesluftwaffe nur im Rahmen der NATO ein Koordinierungskommando, aber kein gemeinsames deutsches Kommando. Sie hätten im nationalen Rahmen nicht Krieg führen können. Ein deutscher Generalstab war poliÂtisch nicht gewollt. Das 2002 geschaffene Einsatzführungskommando der Bundeswehr ist bereits als de-facto-Generalstab charakterisiert worden. Als weiterer Schritt in dieser Richtung wird nun die Macht des Generalinspekteurs gegenüber dem Ministerium erweitert.
Vor 1990 galt Krieg als allerletztes Mittel zur Verteidigung, nicht als Mittel der alltäglichen InteresÂsenpolitik. Heute wird Militär routinemäßig eingesetzt und als Problemlösung propagiert: zur SicheÂrung von Ressourcen und Handelswegen, wie es in den Verteidigungspolitischen Richtlinien schon lange zu lesen ist und was neuerdings auch Politiker folgenlos sagen dürfen. Auch wegen soÂgeÂnannÂter humanitärer Zwecke wird ständig zum Krieg aufgerufen. Die Bundeswehr ist zu einer „Armee im Einsatz“ transformiert worden. Einsatz bedeutet Krieg. Das gibt inzwischen nach zehn JahÂren Bundeswehr-KriegseinÂsatz in Afghanistan sogar die Bundesregierung zu.
Die Bundeswehr soll keine Massenkriege mehr führen, sondern weltweit militärisch intervenieren: Technisch hochgerüstet, aber mit wenig Personal. Das will sie anwerben. In den letzten Jahren hatte sie etwa 40% ihres Nachwuchses aus den Zwangsmilitärdienstleistenden gewonnen. Auf sie kann die BunÂdeswehr nun nicht mehr zurückgreifen. Schon jetzt melden sich deutlich weniger FreiwilÂlige als vorgesehen. Es hat sich herumgesprochen, dass der Arbeitsplatz bei der Bundeswehr im wahrsten Sinn des Wortes todsicher sein kann und eben kein Job wie jeder andere ist. Umso intenÂsiver wirbt die Bundeswehr: in Medien, Schulen und Fußgängerzonen, bei Jugendfestivals, BeÂrufsÂbildungsÂmessen, beim Girls’ Day ... Es ist Aufgabe der Friedensbewegung, diesem Werben fürs Sterben entgegenzutreten.
Um dem Militär zu ermöglichen, alle Jugendlichen zwecks Anwerbung anzuÂschreiben, wird die Militärerfassung fortgeführt und auch erstmals auf weibliche Jugendliche ausÂgedehnt. Der Datenübermittlung ans Militär kann aber widersprochen werden. Damit kann jeder und jede ein Zeichen gegen Krieg setzen.
Kriegsdienstverweigerung bleibt aktuell.
Soldaten und Soldatinnen, die BundesÂwehr oder auch US-Armee verlassen wollen, können einen Antrag auf KriegsdienstverweigeÂrung stellen. Wir helfen dabei.
Weltweit werÂden in zahlreichen Staaten Menschen zum Kriegsdienst gezwungen. DieÂjeniÂgen, die sich dem Krieg verweigern und verfolgt werden, wie z.B. der gerade zu 3 Jahren Gefängnis verurteilte erste Kriegsdienstverweigerer in Ägypten, Maikel Nabil Sanad, benötigen SoliÂdarität sowie Asyl und Unterstützung, wenn sie vor Krieg und Kriegsdienst flüchten.
Die bloße Aussetzung des Zwangs zum Kriegsdienst ist nicht genug: Wir fordern die AbÂschafÂfung und die Anerkennung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung weltweit!
Krieg darf kein Mittel der Politik sein!
Krieg und Gewalt verschärfen Probleme.
Krieg ist ein VerÂbreÂchen an der Menschheit.
Krieg ist organisierter Massenmord.
Krieg schafft die VoraussetÂzungen für neue Kriege und neue Gewalt.
Deshalb fordern wir: