Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Mainz-Wiesbaden

Mehmet Tarhan - Kriegsdienstverweigerer in der Türkei

Der nachfolgende Text schildert die Ereignisse der Kriegsdienstverweigerung. Er basiert im wesentlichen auf der guten Zusammenfassung von Connection e.V. und wurde um die aktuelle Entwicklung bis Mitte Dezember 2005 ergänzt.

Mehmet Tarhan wurde am 10. August für 2 x 2 Jahre Haft verurteilt. Die Gerichtsverhandlung am 15. Dezember 2005 brachte keine Wendung in seinem Fall.

Detailliertere Infos über Mehmet Tarhan und über die Situation von Kriegsdienstverweigerern in der Türkei erhaltet Ihr über www.connection-ev.de/Tuerkei/tarhan.html.

Kriegsdienstverweigerung

Mehmet Tarhan hatte am 27. Oktober 2001 auf einer Pressekonferenz in den Räumen des Menschenrechtsvereins (IHD) seine Kriegsdienstverweigerung erklärt. Die libertäre Schwulen- & Lesbengruppe "Kaos GL", die "Initiative gegen Krieg und Herrschaft" aus Istanbul und der IHD erklärten bei dieser Gelegenheit ihre Unterstützung.

Verhaftung

Mehmet Tarhan wurde am 8. April 2005 festgenommen und zur Gendarmerie gebracht, wo er einen Einberufungsbescheid erhielt. Am 10. April wurde er in Begleitung von Soldaten zu "seiner" Einheit nach Tokat überstellt und dort unter Arrest gestellt. Am 11. April wurde er in das Militärgefängnis von Sivas gebracht.

Anklage

Mehmet Tarhan ist wegen "Ungehorsam vor versammelter Mannschaft" nach Art. 88 des Türkischen Militärstrafgesetzbuches (TACK) angeklagt worden. Die Strafandrohung beträgt zwischen drei Monaten und fünf Jahren Haft.

Zudem ist er wegen öffentlicher kritischer Äußerungen gegen das Militär angeklagt, "das Volk vom Militär zu distanzieren" (Artikel 318 des türkischen Strafgesetzbuches). Hier droht ihm eine Haftstrafe von 6 Monaten bis zu zwei Jahren.

Untersuchung

Am 19. April wurde Mehmet Tarhan auf Anordnung des Generalstaatsanwalts in ein Militärkrankenhaus überstellt. Er war dort zwangsweise wegen seiner Homosexualität untersucht, jedoch nicht ausgemustert worden, wie es ansonsten Praxis der türkischen Armee ist. Wie die schwul-lesbische Organisation Kaos GL schreibt, sehen die türkischen Streitkräfte Homosexualität als Krankheit an und mustern homosexuelle Rekruten aus.

Erster Prozesstag

Der erste Prozesstag fand am 28. April 2005 vor dem Militärgericht in Sivas statt. Der Prozess gegen Mehmet Tarhan wurde vertagt, so das Gericht, damit Zeugenaussagen von zehn Soldaten angehört werden könnten. Sie sollen bezeugen, dass Tarhan sich des "Ungehorsams vor versammelter Mannschaft" schuldig gemacht habe. Der Prozess wurde am 26. Mai fortgesetzt.

Nach Verbüßung einer Haftstrafe wird Mehmet Tarhan voraussichtlich erneut einberufen werden. Da er weiter jede Zusammenarbeit mit dem Militär verweigert, wird es neue Anklagen gegen ihn geben. Der Kreislauf von Einberufung, Verweigerung, Verurteilung und Inhaftierung hat sich in vergleichbaren Fällen bis zu sieben Mal wiederholt - und kann darüber hinaus ausgedehnt werden. In der Türkei gilt die Wehrpflicht erst dann erfüllt, wenn der Militärdienst abgeleistet worden ist.

Folter und Drohungen im Gefängnis und Hungerstreik

Während seiner bisherigen Haftzeit, in der Zeit bis zu seinem zweiten Prozesstag, der am 26. Mai stattgefunden hat, wurde er von Mithäftlingen erpresst, gefoltert und mit dem Tode bedroht. Die Inhaftierten wurden dabei von der Gefängnisleitung angestiftet.

Zudem wurden auch seiner Rechtsanwältin die Kontaktaufnahme zu Mehmet untersagt.

Mehmet Tarhan befindet sich seit 25.6. in Hungerstreik, um gegen die Gewaltanwendung im Militärgefängnis zu protestieren.

Einer detaillierte Schilderung der Ereignisse im Gefängnis findet Ihr hier.

Zweiter Prozesstag

  Am 26.5. fand der zweite Verhandlungstag gegen Mehmet Tarhan im Militärgefängnis von Sivas statt. Die Verhandlung wurde erneut vertagt und wird am 9. Juni weitergeführt. Mehmets AnwältInnen haben wieder seinen Freispruch beantragt, der, obwohl vom Militärstaatsanwalt befürwortet, abgelehnt wurde. Das bedeutet, daß Mehmet, dem am Tag zuvor gewaltsam die Haare geschnitten wurden, noch mindestens zwei weitere Wochen im Militärgefängnis bleiben muß.

Mehmet physischer Zustand war zu dieser Zeit nicht besonders gut. Er hatte mehrere Prellungen und konnte aufgrund der fortdauernden Folterungen nur unter Schmerzen laufen.

Drei weitere Kriegsdienstverweigerer (Ersan Ugur Gor, Erdem Yacinkaya und Mustafa Seyhoglu), die den Prozess beobachteten wurden verhaftet. Als andere Prozessbeobachter die Verhaftung der drei verhindern wollten, wurden sie von der Polizei angegriffen und viele wurden verwundet (Frauen wie Männer).

Zehn weitere Personen, die versucht haben die Verweigerer zu schützen, wurden von der Polizei festgehalten, und ihre Personalien wurden aufgenommen.

Abends wurde noch ein vierter Kriegsdienstverweigerer festgenommen. Die vier Verweigerer wurden aufgefordert sich am kommenden Tag bei der Militärbehörde ihrer Stadt zu melden.

Nachdem alle vier sich am kommenden Tag bei der entsprechenden Behörde gemeldet hatten. Dort erhielten Sie die Aufforderung, sich mustern zu lassen.

Der weitere Verlauf

Am 7. Juni 2005 (Dienstag) fand in Mainz um 11:30 Uhr eine Protestkundgebung in der Nähe des türkischen Konsulats statt. Mehr Informationen dazu...

Mitte Juni erhielt Mehmet Tarhan Stück für Stück die gleichen Rechte wie andere Gefangene in Sivas zurück, womit eine zentrale Forderung seines Hungerstreiks erfüllt wurde. Am 21. Juni beendete er seinen Hungerstreik.

Am 10. August 2005 verkündete das Militärgericht in Sivas das Urteil: vier Jahre Haft wegen zweimaliger Befehlsverweigerung. Gegen das Urteil legte Mehmet Tarhan Berufung ein. Er befindet sich weiter im Militärgefängnis in Sivas.

Erneuter Hungerstreik und Wiederaufnahme des Verfahrens

Nachdem Mehmet Ende Oktober wieder gewaltsam die Haare geschnitten worden sind und er während der Prozedur etliche körperliche Misshandlungen erfahren hatte, trat Mehmet erneut in Hungerstreik. Er forderte eine Gerichtsverhandlung für seine Misshandler und eine ärztliche Untersuchung durch einen Zivilarzt. Der Hungerstreik wurde mittlerweile beendet, da einem Teil seiner Forderungen erfüllt worden.

Die Gerichtsverhandlung vom 15. Dezember 2005

Bei einer erneuten Verhandlung ging es in erster Linie darum, ob Mehmet nicht wegen Homosexualität ausgemustert werden könne. Eine Ausmusterung aus diesen Gründen lehnt Mehmet ab, da er eine Gesellschaft als krank ansieht, die Homosexualität als eine Krankheit begreift.

Das Militärgericht in Sivas verwarf die Empfehlung der Berufungsinstanz des Militärs. In der Berufungsentscheidung war dem örtlichen Gericht der Vorschlag unterbereitet worden, prüfen zu lassen, ob Mehmet Tarhan nicht wegen seiner Homosexualität auszumustern sei. Da er sich einer solchen Untersuchung verweigert, war befürchtet worden, dass Mehmet Tarhan durch eine Zwangsuntersuchung erneut misshandelt werden könnte.

Die Verteidigung legte Berufung ein.

Mehmet Tarhan wurde überraschend freigelassen (9. März 2006)

Das Militär-Berufungsgericht in Ankara hat am 9. März 2006 die Haftentlassung des türkischen Kriegsdienstverweigerers Mehmet Tarhan verfügt. Das Gericht entschied, dass er bei einem endgültigen Urteil mit großer Wahrscheinlichkeit keine höhere Haftstrafe zu erwarten habe, als er bisher verbüßt hat. Diese Entscheidung ist insofern bemerkenswert, da das Berufungsgericht an sich keine Kompetenz hat, selber Haftentlassungen zu verfügen.

Mehmet Tarhan wurde vom Berufungsgericht gleichwohl erneut zur Ableistung des Militärdienstes aufgefordert. Er entschied sich jedoch, dieser Aufforderung nicht nachzukommen.

Damit hat er sich nach der türkischen Gesetzgebung erneut strafbar gemacht. Wir hoffen allerdings, dass die türkischen Behörden Mehmet nicht erneut zum Kriegsdienst zwingen wollen.


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Letztes Update: 03.11.2007, 13:06 Uhr