Aktuell > Ostermarsch Mainz/Wiesbaden 2009 > Reden > Deutschland im Krieg
Deutschland im Krieg – bei diesem Worten denken wir natürlich zuerst an die Auslandseinsätze der Bundeswehr, an die Luftangriffe in Serbien, an die Militärbordelle im Kosovo und an die Sprengfallen in Afghanistan.
Ich möchte heute mit etwas anderem anfangen. Denn wir sehen nicht das ganze Ausmaß der Verwicklung unseres Landes in Krieg und Gewalt. Denn Verwicklung eines Volkes in Krieg und Gewalt besteht nicht nur dort, wo die eigene bewaffnete Macht auftritt. Sie besteht auch da, wo wir von Kriegen profitieren, die von anderen Soldaten geführt und deren Opfer von anderen Völkern gebracht werden.
Wusstet Ihr, das Deutschland in den Krieg am Kongo verwickelt ist, der seit 1996 weit über 3 Millionen Tote gefordert hat, nein? Deswegen spreche ich heute nicht von Bundeswehrsoldaten. Ich spreche von – beispielsweise - Zinnsoldaten.
In der Provinz Nord-Kivu, und das ist im Osten der „Demokratischen Republik Kongo“, liegt das Bergwerksstädtchen Bisie mit 10.000 Einwohnern. Hier werden 4 % der Weltproduktion von Zinn gefördert. Seit dem in den reichen Ländern die Verbraucherschützer mehr und mehr auf die Giftigkeit von Blei hinweisen, ist der Bedarf nach Zinn und damit der Preis für das graue Metall enorm gestiegen.
Offiziell liegen die Abbaurechte in Bisie bei einer südafrikanischen Firma, aber diese kann die Rechte nicht ausüben. Die Macht über die Gruben und damit die Kontrolle über den Rohstoff liegt in der Hand einer Räuberbande, die sich im im Krieg von 1999 - 2003 als ethnische Miliz gründete und heute angeblich die 85. Brigade der kongolesischen Armee bildet. Als das Zinn von Bisie entdeckt wurde, haben die Krieger die Gegend erobert und eine Terrorherrschaft errichtet.
Der Weltmarkt braucht Zinn, und den großen Firmen ist es gleichgültig, wer es liefert. Die grausigen Lebensbedingungen der Arbeiter begrenzen die Preise, und das ist gut für unsere Industrie und für unsere Arbeitsplätze.
Die „Demokratische Republik Kongo“ gehört zu den ärmsten Ländern der Erde mit den reichsten Rohstoffvorkommen. Es gibt vor allem Gold, Diamanten, Kupfer, Uran, Kobalt, Zinn und, auch das seltene Mineral Coltan. Coltan ist dringend notwendig für die Herstellung von Mikrochips, und 80% der heute bekannten Weltreserven liegen im Kongo. Vom Coltanabbau profitieren Händler aus der ganzen Welt, aber nicht die kongolesische Bevölkerung.
Die Kriegsherren finden nichts weiter dabei, Kinder zum Kriegsdienst zu zwingen. In den Kämpfen im Kongo werden 30.000 Kindersoldaten eingesetzt. Das entspricht einem Zehntel der Kindersoldaten weltweit. Dass der Bedarf an Mikrochips und damit an Coltan seit Ende der neunziger Jahre so rasch anstieg, lag nicht nur an der in allen Ländern der Erde voranschreitenden Digitalisierung jeglicher Technik und am weltweiten Händifieber, sondern auch an den damals aufkommenden und überall heiß begehrten Spielkonsolen. Damit die Kinder am Rhein schöner Krieg spielen können, müssen die Kinder am Kongo Krieg führen.
Es ist widersinnig: Der Reichtum an Naturschätzen bedeutet in armen Ländern kein Glück, sondern ein großes Unglück. Keine Gelegenheit der Entwicklung, sondern einen Grund für Instabilität, Ungleichheit und Krieg. Das Vorhandensein von Bodenschätzen stellt eine Falle dar, in der sich verschiedenste Interessen verflechten und die ein dichtes Gewebe von Gier und Skrupellosigkeit schafft.
Nicht nur Bürgerkriege entstehen aus diesen Gründen: Der letzte Kongokrieg wird nicht umsonst der „afrikanische Weltkrieg“ genannt. Vor allem Ruanda, Uganda, Angola und Simbabwe entsandten Truppen in den Kongo – und beuteten dort Rohstoffe aus. Da in den meisten Staaten nicht genügend interne Ressourcen vorhanden sind, nutzen Regierungseliten ihre Armeen als Instrument, um zusätzliche externe Ressourcen zu erschließen.
Wissenschaftler wie der Soziologe und Ethnologe Georg Elwert haben derartige Kriegsgesellschaften als „Gewaltmärkte“, und die nur scheinbare Regellosigkeit pointiert als „deregulierte, radikal freie Marktwirtschaft“ bezeichnet: Dort beuten Kriegsparteien den Konflikt ökonomisch aus und bewaffnete Gewalt wird zugleich zum „Produktionsmittel“ politischer und ökonomischer Macht wie auch zur „Ware“, die von Alliierten, Söldnern, lokalen Kriegsherren und so weiter gekauft werden kann. Und das alles im Interesse der transnationalen Unternehmen, ihrer Kunden und letzten Endes auch ihrer Beschäftigten.
Auch deutsche Unternehmen sind daran beteiligt, wenn es darum geht, die Lage im Kongo auszunutzen, um billige Rohstoffe zu bekommen. Schließlich sichert das nicht nur die Gewinne der Teilhaber, sondern auch die Arbeitsplätze der Mitarbeiter und die davon abhängigen Beiträge zu den sozialen Sicherungssystemen. Bekannt wurde der Fall von H.C. Starck, eine Tochterfirma der Bayer AG, die nach einem Bericht der UNO Coltan aus den Kriegsregionen bezogen hat.
Natürlich passieren solche Dinge nicht nur im Kongo. In Afrika leiden auch Angola, Liberia, Sierra Leone unter ihren Rohstoffvorkommen. Immer wenn in den Fernsehnachrichten von „Rebellen“ die Rede ist, heißt es aufgepasst: Selten sagt man uns, gegen was die eigentlich rebellieren. Meistens werden ethnische Konflikte vorgeschoben, verächtlich als „Stammeskriege“ bezeichnet. Wenn vergleichbares in Lateinamerika geschieht, lautet die Sprachregelung nicht „Rebellen“, sondern „Paramilitärs“.
Was können wir tun?
Ich glaube, Ausreden wie „Ich habe gar kein Händi, und außerdem benutze ich es nur ganz selten!“ bringen niemandem irgendeinen Nutzen. Nicht die Nutzung der Rohstoffe an sich ist böse, sondern die Art und Weise wie das geschieht.
Setzen wir uns für einen gerechten Welthandel ein! Stoppen wir den nicht enden wollenden Strom von Waffen, die aus den Industrieländern zurück in die Rohstoffländer fließen! Schauen wir den Herstellern auf die Finger, wer ihnen die Rohstoffe verkauft hat! Fordern wir Freiheit und Menschenrechte weltweit!
Den Krieg nur als solchen zu verteufeln und zu bekämpfen, ist so, als wollten wir eine Krebserkrankung mit Schmerzmitteln heilen. Bekämpfen wir die Ursachen!
Freie und gleichberechtigte Völker brauchen keine Kriege zu führen.