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Pressemitteilung 11.4.2011
Wie soeben von der internationalen Friedensorganisation War Resisters‘ International gemeldet, wurde gestern der pazifistische Blogger und Kriegsdienstverweigerer Maikel Nabil Sanad zu drei Jahren Haft verurteilt. Er war angeklagt, das Militär beleidigt zu haben, weil er in seinem Blog http://www.maikelnabil.com ausführlich über die fortwährenden Menschenrechtsverletzungen und politischen Einflussnahmen des ägyptischen Militärs berichtet hat.
Das Militärgericht sorgte gestern dafür, dass das Urteil in Abwesenheit der Familie, Freunde und des Anwalts von Maikel Nabil Sanad ausgesprochen wurde. Zunächst hatte der Richter erklärt, die Urteilsverkündung würde auf den 12. April vertagt. Tatsächlich verkündete jedoch das Militärgericht das Urteil bereits gestern, am 10. April.
„Auf der einen Seite stellt sich das Militär als Hüter der Revolution dar,“ sagte heute Rudi Friedrich vom Kriegsdienstverweigerer-Netzwerk Connection e.V., „auf der anderen Seite geht es äußerst scharf gegen KritikerInnen vor, wie gegen Maikel Nabil Sanad. Er erhielt wegen seiner Veröffentlichungen die Höchststrafe von drei Jahren. Offensichtlich will das Militär hier ein Exempel statuieren, um andere Militärkritiker in Ägypten mundtot zu machen.“
Gernot Lennert von der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Hessen ergänzte heute: „Indem das Militär Maikel Nabil Sanad verfolgt, bestätigt es ungewollt, dass die wachsende Kritik an der Rolle des Militärs nach der Revolution voll zutrifft. Maikel Nabil Sanad hatte genau dies auf seinem Blog dokumentiert.“
War Resisters‘ International (WRI) wies in deren Pressemitteilung zugleich darauf hin, dass das Verfahren gegen Maikel Nabil Sanad zahlreiche Menschenrechte verletzt: Das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf ein gerechtes Verfahren nach den Artikeln 19 und 14 des Internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte. Auch die gerade in Kraft getretene Übergangsverfassung Ägyptens garantiert das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit. „In seinen Ausführungen machte Maikel Nabil Sanad von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch. Es schließt selbstverständlich das Recht ein, die Rolle des Militärs während und nach der Revolution zu kritisieren“, so Andreas Speck, der für die WRI als internationaler Beobachter zum Prozess entsandt worden war.
Gernot Lennert ergänzte: „Auch die Verurteilung von Zivilpersonen durch Militärgerichte ist ein Indiz für das Fehlen von Rechtsstaatlichkeit. Das Militär ist in diesem Fall Richter in eigener Sache und gegen einen Kriegsdienstverweigerer und Pazifisten ohnehin voreingenommen.“
Connection e.V. und die DFG-VK Hessen rufen dazu auf, Maikel Nabil Sanad Unterstützungsschreiben zuzusenden an: Maikel Nabil Sanad, Toura Prison, Mansheya El-masry, Tora, Cairo, Egypt.
Connection e.V. und die DFG-VK Hessen rufen dazu auf, Protestschreiben an die ägyptischen Behörden zu senden:
Eine Protest-eMail kann versandt werden über http://wri-irg.org/node/12728 oder über www.frieden-mitmachen.de
Connection e.V. und die DFG-VK Hessen fordern Ägypten auf, das Urteil gegen Maikel Nabil Sanad unverzüglich aufzuheben und ihn freizulassen.
gez.Gernot Lennert (DFG-VK Hessen, 069-431440)Rudi Friedrich (Connection e.V., 069-82375534)
Weitere Informationen unter www.Connection-eV.de/z.php?ID=1334 und www.dfg-vk-hessen.de
* Sein Bericht (in Englisch) ist zu finden unter www.maikelnabil.com/2011/03/army-and-people-wasnt-ever-one-hand.html
Protest-E-Mails können verschickt werden über
und wri-irg.org/de/node/12474
Bilder und Kurzbericht von der Kundgebung: www.dfg-vk-hessen.de
(30.03.2011) Der ägyptische Kriegsdienstverweigerer Maikel Nabil Sanad wurde in der Nacht von Montag auf Dienstag verhaftet und bereits gestern vor ein Militärgericht gestellt. Ihm drohen bis zu drei Jahre Haft, weil er in seinem Blog http://www.maikelnabil.com/ ausführlich über die fortwährenden Menschenrechtsverletzungen und politischen Einflussnahmen des ägyptischen Militärs berichtet hat.* Nach Berichten seines Rechtsanwaltes wurde Maikel Nabil Sanad von der Militärpolizei verhaftet. Ihm wurde der Kontakt zu Freunden, Familien oder Rechtsanwalt verweigert, die er erst dann über seine Verhaftung informieren konnte, als er heimlich ein Telefon eines Soldaten benutzen durfte. Gestern wurde er zunächst zu 15 Tagen Untersuchungshaft verurteilt. Ihm wird vorgeworfen, mit seiner Veröffentlichung die öffentliche Sicherheit gefährdet und das Militär beleidigt zu haben. Damit könnte er mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Connection e.V. und die DFG-VK Hessen zeigten sich heute bestürzt über die Verhaftung des ägyptischen Pazifisten. "Das Militär war schon wiederholt gegen Maikel Nabil Sanad vorgegangen", so Rudi Friedrich vom Kriegsdienstverweigerungs-Netzwerk Connection e.V. "Bislang war er nach wenigen Tagen wieder freigelassen worden. Nun müssen wir aber befürchten, dass das Militär scharf gegen ihn vorgeht, um damit ein Exempel an den Kritikern zu statuieren.“ Maikel Nabil Sanad war im November 2010 wegen seiner Kriegsdienstverweigerung verhaftet worden. Nach zwei Tagen musterte ihn das Militär aus und entließ ihn aus der Haft. Am 4. Februar 2011, zur Zeit der Revolution, wurde er erneut vom Militär verhaftet. Das Militär misshandelte und bedrohte ihn, ließ ihn aber nach 27 Stunden wieder frei. In seinem am 8. März 2011 veröffentlichten Beitrag "Die Armee und das Volk waren niemals eins" führte er detailliert aus, wie das Militär sowohl während der Revolution, aber auch weiter nach dem Sturz Mubaraks willkürlich Verhaftungen vornahm, folterte und Inhaftierte verschwinden ließ. Er machte zudem deutlich, dass die ägyptische Presse offensichtlich auf Druck des Militärs Nachrichten noch nachträglich veränderte. "Die Armee verhaftet und foltert weiter Aktivisten, die an der Revolution beteiligt waren. Obwohl die Armee mehrfach erklärt hat, dass sie die Seite gewechselt hat, finden Verhaftungen und Folter wie vor der Revolution statt, als ob sich nichts geändert hat.“ Das Militär hat zwar versprochen, dass alle Verhafteten freigelassen würden, so Maikel Nabil Sanad in seinem Blog, "aber bis heute sind die Inhaftierten nicht auf freiem Fuß". "Seine Verhaftung bestätigt", erklärte heute Gernot Lennert von der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Landesverband Hessen, dass Maikel Nabil Sanad mit seiner Kritik am Militär nur allzu recht hat. Ägypten wird derzeit durch das Militär regiert, das sich niemals um politische Freiheiten oder Menschenrechte kümmerte und es auch jetzt nicht tut. Die Revolution mag Mubarak an der Spitze weggefegt haben, aber bis jetzt gibt es noch keine politische Freiheit." Connection e.V. und die DFG-VK Hessen fordern das ägyptische Militär auf, Maikel Nabil Sanad unverzüglich freizulassen, wie auch alle anderen Aktivisten, die während oder nach der Revolution verhaftet wurden. Die Organisationen bitten zugleich um Protestschreiben an die ägyptischen Behörden:
* Sein Bericht (in Englisch) ist zu finden unter http://www.maikelnabil.com/2011/03/army-and-people-wasnt-ever-one-hand.html Weitere Infos unter www.Connection-eV.de/z.php?ID=1304 www.dfg-vk-hessen.de Eine Protest-eMail kann versandt werden über http://wri-irg.org/node/12474.
(Artikel veröffentlicht in Graswurzelrevolution März 2011 und in Zivilcourage Nr. 1/2001)
Maikel Nabil Sanad hatte am 20. Oktober 2010 erklärt: „Ich habe sehr viel darüber nachgedacht. Meine Entscheidung ist, dass ich die Ableistung des Militärdienstes verweigern werde. Ich werde die Konsequenzen tragen, was auch immer das bedeutet, obwohl ich weiß, dass die Konsequenzen Leid bedeuten, weil ich der erste ägyptische Jugendliche bin, der den Militärdienst aus pazifistischer Überzeugung verweigert. (…) Meine Worte bedeuten aber nicht, dass ich ein Militärdienstentzieher bin. Ich verweigere, ich entziehe mich nicht. Ich lebe unter der Adresse, die in meinem Ausweis steht und der Rekrutierungsbehörde und dem Militär bekannt ist. Sie steht auch in meinem Schreiben an den Verteidigungsminister, den Premierminister, den Präsidenten beider Parlamente und den Präsidenten der Republik. Ich verstecke mich nicht irgendwo, so dass mich die ägyptische Polizei verhaften könnte. Ich bin bereit dazu, mich der Justiz auszuliefern, wenn ich darüber informiert werde, dass ich gesucht werde.“
Entsprechend seiner Erklärung folgte Maikel Nabil Sanad im Oktober 2010 nicht der Einberufung zum Militärdienst. Am 12. November wurde er vom Geheimdienst verhaftet, zum Militär gebracht, für untauglich erklärt und nach zwei Tagen wieder freigelassen. Kurz darauf erhielt er seine offiziellen Entlassungspapiere.
Am 4. Januar 2011 trafen wir, eine Minidelegation der DFG-VK Hessen, mit Maikel am Flughafen von Kairo zusammen. Nach zwei Wochen Rundreise durch Ägypten auf den Spuren der Vergangenheit war dieser Gegenwartsbezug eine willkommene Ergänzung, kurz nach den Anschlägen auf eine große koptische Kirche in Alexandria. Vorher hatten wir Gelegenheit mit den ägyptischen Reiseleitern über die politische Situation im Land zu sprechen, von den Anschlägen erfuhren wir am ersten Januar in Luxor und das Entsetzen war auch bei unseren Begleitern zu spüren. Wir erfuhren vieles über die soziale und ökonomische Ungleichheit im Land, die Armut, Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit mit dem Regime. Viele Ägypter waren geschockt, da das Nebeneinander verschiedener Religionen von der Mehrheit nicht als problematisch angesehen wird.
Als wir mit Maikel in seiner Kairoer Junggesellenwohnung diskutierten, war ich positiv überrascht von seiner derzeitigen Analyse, also noch bevor es dort richtig los ging.
Er war überzeugt, dass etwas passieren müsse, dass es nicht nur um diesen einen Anschlag gehe, sondern um die Rechte und die Freiheit im Land; es gäbe keine Demokratie und es sei das erste Mal seit zwei Jahren, dass die Polizei wieder auf DemonstrantInnen schießen würde. Nach dem Bombenanschlag gingen viele Menschen auf die Straßen: in Kairo, Assiut und Mansura, um einige Städte zu nennen. Das war neu auch für die koptischen ChristInnen, die zuvor ausschließlich innerhalb der Kirche protestiert hatten. Der Papst der Kopten bekannte sich zu Mubarak.
Es zeichnete sich hier schon ab, dass der Protest ein übergreifender sein würde. Es gehe nicht um Religionen, sondern darum demokratische Strukturen zu entwickeln. Immerhin braucht mensch die Erlaubnis des Staates, um politisch aktiv sein zu dürfen, eine sog. party licence, ohne die politische Aktionen strafbar sind.
Maikel vertrat die Ansicht, dass die Regierung das Problem sei und die Religionsgemeinschaften gegeneinander hetzt, um von sich abzulenken; das Mubarak Regime habe ausgedient.
Im Hinblick auf seine Kriegsdienstverweigerung äußerte ich meine Überraschung, dass er nach zwei Tagen Arrest als freie zivile Person von der Armee entlassen wurde. Wir erklärten uns diese Reaktion mit der Vermeidung irgendwelchen Aufsehens kurz vor den Wahlen. Es hätte vielleicht Nachahmer gegeben, wenn Maikel als kriminalisierter Kriegsdienstverweigerer Aufmerksamkeit und Solidarität erfahren hätte.
Er ist nicht der einzige antimilitaristisch Aktive in Ägypten, sondern Teil einer Gruppe gegen Zwangsmilitärdienst, `No For Compulsory Military Service´ Movement, bestehend aus etwa 30 Personen. Mit der War Resisters’ International (WRI) arbeitet er eng zusammen, und er ist interessiert an internationalen Kontakten. Insbesondere sei es wichtig, Erfahrungen in Demotechnik weiterzugeben (das war vor den Massendemonstrationen in Ägypten; inzwischen dürften es die ägyptischen Erfahrungen sein, von denen andere lernen können). Sie suchen ohne ideologische Vorbedingung die Zusammenarbeit mit Gruppen.
Maikel ist gegen jeden Nationalismus und lehnt die in der arabischen Welt weit verbreitete Feindseligkeit gegen Israel ab.Israel schätzt er als modernen liberalen Staat. Er spricht sich gegen antisemitische Bestrebungen aus, die das Existenzrecht Israels verneinen, hat Freunde in Israel, arbeitet mit KriegsgegnerInnen in Israel zusammen, lernt selbst Hebräisch und bietet auf seiner Homepage Texte nicht nur in Arabisch und Englisch, sondern auch auf Hebräisch an.
Als kurz nach unserem Besuch der zivile gewaltfreie Aufstand gegen Mubarak begann, war Maikel Nabil Sanad dabei.
Am 4. Februar wurde er von der Militärpolizei festgenommen. WRI und DFG-VK forderten sofort zu Protestschreiben auf und machten bei der Ägypten-Demonstration in Frankfurt auf die Festnahme aufmerksam. Nach 29 Stunden kam Maikel wieder frei: Er schrieb unmittelbar nach seiner Freilassung: „Liebe Freunde, der Geheimdienst ließ mich heute Morgen um sieben Uhr frei. Sie schlugen mich, misshandelten mich sexuell und drohten mir mit einem Militärstrafverfahren. Sie drängten mich, in die Armee zu gehen, stahlen meinen Pass und mein Mobiltelefon. Es waren die schlimmsten Tage meines Lebens. Ich denke, sie taten es, um sich an mir wegen meiner Kriegsdienstverweigerung zu rächen. Ich werde einige Tage brauchen, um mich von diesen schrecklichen Erfahrungen zu erholen...“ (Mail vom 5.2.)
Einige Tage später ergänzte er: „Als ich davor über meine frühere Verhaftung schrieb, habe ich diese als gewaltfreien Kampf zwischen mir und dem Regime betrachtet. Aber diesmal schreibe ich auf eine andere Art, weil dies das erste Mal ist, dass ich mich als Opfer fühle und das erste Mal, das ich derart stark beleidigt wurde. Ich schreibe diesmal nicht um Revanche zu nehmen, aber um die Menschen wissen zu lassen was ihnen bevorsteht, wenn diese Revolution fehlschlägt. Unsere Revolution schützt uns davor, dass derartige Aktionen gegen mich und alle von Euch wiederholt werden. (...) Der Geheimdienstbeamte kam und schlug mir ins Gesicht. Und was mich wirklich deprimiert hat, Leute vom Volkskomitee halfen der Armee, mich festzunehmen, weil sie dachten, die Armee sei auf unserer Seite.“
Diese pro-militärische Einstellung teilen viele ÄgypterInnen, wie wir auch bei der Ägypten-Demonstration am 5. Februar in Frankfurt a.M. hören konnten. So war ein Argument gegen die Solidarität mit Maikel, dass das Militär die einzige demokratische Organisation sei, in der die Menschen Gleichberechtigung erführen, und die größte Gefahr sei die Zersetzung der Armee. Verräter sollten bekämpft werden.
Sechs Jahrzehnte militaristische und nationalistische Indoktrination gehen offensichtlich nicht spurlos an den Menschen vorbei. Auch westliche Medien verbreiten das Märchen des schützenden und volksnahen Militärs, nur weil es nicht gleich geschossen hat. Was diese Volksnähe bedeutet, konnte Maikel Nabil Sanad am eigenen Leib spüren.
Einer der Geheimdienstoffiziere erklärte ihm, dass sie in drei Stufen vorgingen. Bei der ersten Festnahme im November hätten sie ihn gut behandelt. Jetzt habe er die zweite Stufe erlebt. Wie brutal nach den Schlägen und Misshandlungen bei der zweiten Festnahme die dritte Stufe aussehen würde, erläuterte der Geheimdienstmann nicht.
Nach dem Abgang Mubaraks hat in Ägypten das Militär die Macht übernommen. Ausgerechnet Kriegsminister Tantawi führt nun den Staat. Maikel zeigt sich auf seiner Homepage darüber besorgt, dass die Militaristen die Macht an Islamisten und arabische Nationalisten übergeben: „Wir machten diese Revolution für Demokratie, nicht für Faschisten. Nieder mit den Militaristen!“
Maikel und die ägyptischen PazifistInnen und AntimilitaristInnen sind gerade dann, wenn das Militär herrscht, besonders gefährdet. Sie benötigen weiterhin transnationale Solidarität.
Lotta Viktualia
Weitere und ausführlichere Informationen zu Maikel Nabil Sanad:
Homepage von Maikel Nabil Sanad: www.maikelnabil.com/(Beiträge in Arabisch/Englisch/Hebräisch)
über Maikel Nabil Sanad:
wri-irg.org/node/11403
in Deutsch:
Erklärung von Maikel Nabil SanadI Would Not Serve in the Egyptian Army and I Bear the Consequences
Englisch: wri-irg.org/node/11404
Arabisch: wri-irg.org/node/11405