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Rede von Gernot Lennert, Landesgeschäftsführer der DFG-VK Rheinland-Pfalz
bei der Kundgebung Stoppt das Töten in der Ukraine – für Waffenstillstand und Verhandlungen! in Mainz am 23. September 2023
im Rahmen der bundesweiten Aktionswoche Stoppt das Töten in der Ukraine – für Waffenstillstand und Verhandlungen!
Der Ukraine-Krieg ist nicht nur ein Konflikt zwischen Staaten und Machtblöcken. Er ist auch ein Konflikt zwischen Staaten auf der einen Seite und auf der anderen Seite Menschen, die nicht in Kriegen töten und sterben wollen und die sich gegen Krieg aussprechen. Für kriegführende Staaten sind Männer, die von den jeweiligen Staaten als Staatsangehörige beansprucht werden, Kanonenfutter, das in Schlachten geschickt und dort abgeschlachtet werden soll. Sie werden zwangsrekrutiert und ebenso Menschen, die Widerstand gegen Diktatur und Krieg leisten, gejagt und verfolgt. Aber auch nicht kriegführende Staaten beteiligen sich an dieser Hatz, indem sie Grenzen schließen und Schutz und Asyl verweigern.
In Russland wurden allein im ersten Jahr des russischen Angriffskriegs 20.000 Verhaftungen im Zusammenhang mit der Kriegsgegnerschaft dokumentiert. Wer gegen Krieg demonstriert, riskiert viele Jahre Lagerhaft. Menschen werden sogar wegen privater Gespräche denunziert und verhaftet. Kriegsdienstverweigerung ist so schwierig geworden, dass für viele die Flucht der einzige Ausweg ist. Unter den ungefähr 820.000 Menschen, die seit Kriegsbeginn Russland verlassen haben, sind mindestens eine Viertelmillion militärdienstpflichtige Männer. Verweigerer und Deserteure, die bereits an der Front waren, werden in Lagern in den besetzten ukrainischen Gebieten festgehalten und sind dort Misshandlungen und Gewalt ausgesetzt. Mindestens 13 solche Lager sind bekannt. Legale Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern ist kaum noch möglich. Unsere Partnerorganisation, die Bewegung der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen (Движение сознательных отказчиков от военной службы) wurde zum ausländischen Agenten erklärt.
Die Lukaschenko-Diktatur in Belarus hatte schon vor Kriegsbeginn Menschen, die sich für Demokratie, Menschenrechte und Kriegsdienstverweigerung einsetzten, massenhaft inhaftiert oder ins Exil getrieben. Ein Beispiel ist Olga Karatsch, die Leiterin unserer belarusischen Partnerorganisation Nasch Dom (Наш Дом). Sie wird in Belarus als Terroristin diffamiert und mit dem Tod bedroht und ist nach Litauen geflüchtet. Im August wurde ihr vom litauischen Staat politisches Asyl verweigert, weil sie eine „Bedrohung für die nationale Sicherheit der Republik Litauen“ darstelle. Ihr wurde nur ein unsicherer zweijähriger Aufenthalt zugebilligt. Wer ihr und damit auch anderen zu einen sicheren Status verhelfen will, kann eine vorbereitete E-Mail an die litauischen Behörden schicken, über die Homepage des Vereins Connection. Nähere Informationen am Infostand der DFG-VK hier zu meiner Rechten. Das EU-Mitglied Litauen hat bisher keinem einzigen belarusischen Kriegsdienstverweigerer, Deserteur oder Regimegegner politisches Asyl gewährt, obwohl bei Abschiebung nach Belarus Folter und Tod drohen.
In der Ukraine konnten schon vor 2022 nur Angehörige einiger weniger kleiner religiöser Gruppen einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen. Seit dem russischen Überall auf die Ukraine ist selbst das nicht mehr möglich. Kriegsdienstverweigerung wird mit Gefängnis bestraft. Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land nicht verlassen. Viele werden an den Grenzen abgefangen und zwangsrekrutiert. Einige Dutzend sind beim Versuch, die Grenze zu überqueren, erfroren.
Pazifistische Meinungsäußerungen werden in der Ukraine schon seit vielen Jahren verfolgt. Der neueste Fall: Im August wurde die Wohnung von Jurij Scheljashenko (Юрій Шеляженко), Geschäftsführer der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung (Український Рух Пацифістів) illegal durchsucht und u.a. sein Computer beschlagnahmt. Er wird nun des Verbrechens der "Rechtfertigung der russischen Aggression" angeklagt wurde. Als "Beweis" dafür wird eine Erklärung der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung angeführt, in der die russische Aggression ausdrücklich verurteilt wird. Jurij Scheljashenko wurde ein partieller Hausarrest mit nächtlicher Ausgangssperre auferlegt. Der Prozess gegen ihn hätte vor drei Tagen beginnen sollen. Inzwischen wird erwartet, dass er am 3. Oktober stattfinden wird. Wir fordern den ukrainischen Staat auf, diese absurde Anklage fallen zu lassen. Eine entsprechende Mail kann geschickt werden über die Homepage des schon erwähnten Vereins Connection. Nähere Informationen am Infostand der DFG-VK.
Im Europäischen Wirtschaftsraum und in der Schweiz sind mehr als 650.000 ukrainische Männer im Alter von 18 bis 64 Jahren als Flüchtlinge registriert. Die ukrainische Regierung strebt nun an, dass ukrainische Männer im Militärdienstalter an die Ukraine ausgeliefert werden. Sie müssen nun fürchten, an die Front und in den Tod geschickt zu werden. Nach EU-Recht ist das zwar nicht vorgesehen, aber wenn es um Krieg geht, finden Staaten oft Wege, Recht zu umgehen oder einfach zu ändern.
Führende Politiker und Politikerinnen wie Bundeskanzler Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatten sich dafür ausgesprochen, Verweigerern aus Russland Schutz zu geben. Der Großteil der russischen Verweigerer wird jedoch in den Asylverfahren abgelehnt. So ergeht es vor allem denen, die klugerweise rechtzeitig vor einer möglichen Rekrutierung geflohen sind. Wer schon einen Einberufungsbescheid erhalten hat, kann das Land nicht legal verlassen. Doch die deutschen Behörden verlangen oft Einberufungsbescheide oder ähnliche Nachweise. Die westlichen Staaten, die den russischen Angriffskrieg verurteilen, könnten die russische Kriegsmaschinerie unblutig schwächen, indem sie die Verweigerung und die Flucht russischer Männer unterstützen. Doch wenn es gegen Kriegsdienstverweigerer geht, sind sich wie so oft selbst miteinander verfeindete Staaten einig. Schließlich häufen sich auch in Deutschland die Rufe nach Reaktivierung der Zwangsrekrutierung. Das neue NATO-Mitglied Finnland hat gerade den Kriegsdienstverweigerer Mitja Jakonen, aktiv in unserer finnischen Partnerorganisation Aseistakieltäytyjäliitto, zu 98 Tagen Hausarrest mit Fußfessel verurteilt.
Im Mai haben wir auf dem Höhepunkt der Aktionswochen Schutz und Asyl für alle aus Russland, Belarus und der Ukraine, die den Kriegsdienst verweigern der EU-Kommission fast 50.000 Unterschriften mit der Forderung nach Schutz und Asyl übergeben. Anlässlich des Tags der Menschenrechte am 10. Dezember rufen wir gemeinsam mit 30 weiteren Organisationen zu einer weiteren Aktionswoche Schutz und Asyl für Kriegsdienstverweigerer aus Russland, Belarus und der Ukraine auf.
Für das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung! Schluss mit der Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern und Andersdenkenden in Russland, Belarus und der Ukraine und überall! Schutz und Asyl für alle, die den Kriegsdienst verweigern oder sich für Frieden einsetzen!