Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Mainz-Wiesbaden

Gedenken an Kurt Tucholsky

Rede von Harald Gewehr, DFG-VK Mainz-Wiesbaden
bei der Kundgebung zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung, Mainz, 15. Mai 2025

Hallo liebe Leute,

mein Name ist Harald Gewehr. Meine Rede ist ein Kontrastprogramm zu den harten Fakten, die hier in anderen Reden präsentiert werden.

Ich will Euch einen Text von Kurt Tucholsky vorlesen. Vielleicht kennen ihn einige. Aber ich vermute, jeder kennt zumindest drei Wörter aus diesem Text. Kurt Tucholsky hat diesen Text 1931 unter dem Synonym Ignaz Wrobel veröffentlicht.

Bei der Vorbereitung dieser Rede stand ich vor einem merkwürdigen Problem. Der Text ist meiner Meinung nach sehr aktuell, aber das sollte ich erklären. Aber wann? Vor dem Vorlesen des Textes? Dann wisst Ihr ja nicht, worüber ich rede. Nach dem Lesen? Aber dann zerstöre meine Erklärungen die Wirkung des Textes.

Aber dann habe ich eine Lösung gefunden:

Zuerst kommen meine Erläuterungen. Dann lese ich den Text. Dann trage ich die Erläuterungen nochmal vor und dann lese ich den Text ebenfalls nochmal vor.

Okay, soviel Zeit haben wir wohl nicht. Deswegen bekommt Ihr nur die Erläuterungen und den Text. Den Rest müsst Ihr Euch selber vorstellen. Aber ich vertraue da voll auf Eure Phantasie.

[kleine Pause]

Um Tucholskys grundsätzliche Einstellung zu vermitteln, beginne ich mit einem weiteren etwas gekürztem Zitat:

[kleine Pause]

"… wenn alles vorüber ist –; wenn sich das alles totgelaufen hat: der Hordenwahnsinn, die Wonne, in Massen aufzutreten, in Massen zu brüllen und in Gruppen Fahnen zu schwenken, wenn diese Zeitkrankheit vergangen ist, die die niedrigen Eigenschaften des Menschen zu guten umlügt; wenn die Leute zwar nicht klüger, aber müde geworden sind; wenn alle Kämpfe um den Faschismus ausgekämpft und wenn die letzten freiheitlichen Emigranten dahingeschieden sind:

Dann wird einer kommen, der wird eine gradezu donnernde Entdeckung machen: er wird den Einzelmenschen entdecken. Er wird sagen: Es gibt einen Organismus, Mensch geheißen, und auf den kommt es an. Und ob der glücklich ist, das ist die Frage. Daß der frei ist, das ist das Ziel. Gruppen sind etwas Sekundäres – der Staat ist etwas Sekundäres. Es kommt nicht darauf an, dass der Staat lebe – es kommt darauf an, dass der Mensch lebe.

Dieser Mann, der so spricht, wird eine große Wirkung hervorrufen. Die Leute werden seiner These zujubeln und werden sagen: »Das ist ja ganz neu! Welch ein Mut! Das haben wir noch nie gehört! Eine neue Epoche der Menschheit bricht an!«

Und dann wird sich das auswirken, und hunderttausend schwarzer, brauner und roter Hemden werden in die Ecke fliegen und auf den Misthaufen. Und die Leute werden wieder Mut zu sich selber bekommen, … ohne Angst vor dem Staat, vor dem sie gekuscht hatten wie geprügelte Hunde. …"

[kleine Pause]

Kriege haben sich seit dem Ersten Weltkrieg verändert. Aber einiges blieb gleich. Menschen werden heute immer noch für die Interessen von Staaten verheizt. Das dürfen Staaten nicht, denn Menschen sind wichtiger als Staaten.

Heute am Tag der Kriegsdienstverweigerung stehen wir dafür ein: Niemand, der nicht Soldat werden will, sollte sich vor irgendjemanden rechtfertigen müssen! Nicht in Russland, nicht in Israel, nicht in Palästina, nicht in der Ukraine und nicht in Deutschland.

Ach und ich sollte noch sagen. Nehmt den folgenden Text bitte nicht persönlich. Ich will niemanden beleidigen.

[kleine Pause]

Der bewachte Kriegsschauplatz

Im nächsten letzten Krieg wird das ja anders sein … Aber der vorige Kriegsschauplatz war polizeilich abgesperrt, das vergißt man so häufig. Nämlich:

Hinter dem Gewirr der Ackergräben, in denen die Arbeiter und Angestellten sich abschossen, während ihre Chefs daran gut verdienten, stand und ritt ununterbrochen, auf allen Kriegsschauplätzen, eine Kette von Feldgendarmen. Sehr beliebt sind die Herren nicht gewesen; vorn waren sie nicht zu sehen, und hinten taten sie sich dicke. Der Soldat mochte sie nicht; sie erinnerten ihn an jenen bürgerlichen Drill, den er in falscher Hoffnung gegen den militärischen eingetauscht hatte.

Die Feldgendarmen sperrten den Kriegsschauplatz nicht nur von hinten nach vorn ab, das wäre ja noch verständlich gewesen; sie paßten keineswegs nur auf, daß niemand von den Zivilisten in einen Tod lief, der nicht für sie bestimmt war. Der Kriegsschauplatz war auch von vorn nach hinten abgesperrt.

„Von welchem Truppenteil sind Sie?“ fragte der Gendarm, wenn er auf einen einzelnen Soldaten stieß, der versprengt war. „Sie“, sagte er. Sonst war der Soldat ›du‹ und in der Menge ›ihr‹ – hier aber verwandelte er sich plötzlich in ein steuerzahlendes Subjekt, das der bürgerlichen Obrigkeit untertan war. Der Feldgendarm wachte darüber, daß vorn richtig gestorben wurde.

Für viele war das gar nicht nötig. Die Hammel trappelten mit der Herde mit, meist wußten sie gar keine Wege und Möglichkeiten, um nach hinten zu kommen, und was hätten sie da auch tun sollen! Sie wären ja doch geklappt worden, und dann: Untersuchungshaft, Kriegsgericht, Zuchthaus, oder, das schlimmste von allem:

Strafkompanie. In diesen deutschen Strafkompanien sind Grausamkeiten vorgekommen, deren Schilderung, spielten sie in der französischen Fremdenlegion, gut und gern einen ganzen Verlag ernähren könnte.

Manche Nationen jagten ihre Zwangsabonnenten auch mit den Maschinengewehren in die Maschinengewehre.

So kämpften sie.

Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.

Es ist ungemein bezeichnend, daß sich neulich ein sicherlich anständig empfindender protestantischer Geistlicher gegen den Vorwurf gewehrt hat, die Soldaten Mörder genannt zu haben, denn in seinen Kreisen gilt das als Vorwurf. Und die Hetze gegen den Professor Gumbel fußt darauf, daß er einmal die Abdeckerei des Krieges „das Feld der Unehre“ genannt hat. Ich weiß nicht, ob die randalierenden Studenten in Heidelberg lesen können. Wenn ja: vielleicht bemühen sie sich einmal in eine ihrer Bibliotheken und schlagen dort jene Exhortatio Benedikts XV. nach, der den Krieg „ein entehrendes Gemetzel“ genannt hat und das mitten im Kriege! Die Exhortatio ist in dieser Nummer nachzulesen.

Die Gendarmen aller Länder hätten und haben Deserteure niedergeschossen. Sie mordeten also, weil einer sich weigerte, weiterhin zu morden. Und sperrten den Kriegsschauplatz ab, denn Ordnung muß sein, Ruhe, Ordnung und die Zivilisation der christlichen Staaten."

Vielen Dank

Letztes Update: 19.05.2025, 19:32 Uhr