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Rede von Franz Nadler, Connection e.V.beim Mainz-Wiesbadener Ostermarsch 2023 in Mainz,Karsamstag, 8. April 2023 Morgen ist ein besonderer Tag. Am 9. April 1945, also vor 78 Jahren, hat der damals 22 Jahre alte Peter Petersen beschlossen sein Leben zu retten und desertierte.
Nach einem kurzen Urlaub bei seinen Eltern in Hamburg war er wieder bei der Wehrmacht in Berlin angekommen. Als Fallschirmspringer sollte er hinter der russischen Frontlinie abspringen. Da sagte er sich: „Das ist doch ein Himmelfahrtskommando. Da ist mir der Tod sicher.“
Er setzte sich stattdessen in den Zug und fuhr zurück nach Hamburg. Obwohl natürlich überall Polizei war, gelang es ihm, die Kontrollen zu umgehen, und er versteckte sich dann bei seinen Eltern im Hühnerstall. „Da war es es furchtbar.“ Aber, so sagte er später darüber: „Ich wollte ja leben, ich wollte ja überleben.“
Die „Kettenhunde“, wie die Feldjäger genannt wurden, fahndeten überall nach Fahnenflüchtigen, die dann oftmals auch ohne Prozess, standrechtlich erschossen oder „zur Abschreckung“ für andere, aufgehängt wurden. Im II. Weltkrieg sind in Deutschland etwa 30.000 Soldaten desertiert, 20.000 davon wurden hingerichtet, in einigen Fällen sogar noch, als der Krieg bereits beendet war.
Die Überlebenden wurden auch nach dem Krieg geächtet, sie galten als „Kameradenschweine“ und als „Vaterlandsverräter“. Inzwischen sind auch die letzten Überlebenden gestorben. Ihre Rehabilitierung erlebten nur wenige.
Zu versuchen, dem Krieg zu entkommen, in Frieden leben zu wollen, ist keine Schande, sondern das natürliche Recht jedes Menschen. Andere Menschen auf Befehl töten, ermorden zu sollen bzw. sich selbst als Zielscheibe zur Verfügung zu stellen, ist zutiefst unmenschlich.
Was im normalen Leben verboten ist, wird im Krieg bedenkenlos ausgeübt. Vorsätzliche Tötung, also Mord, wird normalerweise mit dem höchsten Strafmaß geahndet. Wer dagegen im Krieg möglichst viele (gegnerische) Menschen mordet, gilt als Held, bekommt einen Orden – und hinterher einen guten Posten.Wir haben deshalb vor 30 Jahren Connection e.V. gegründet, um Kriegsdienstverweigerer, Militärdienstentzieher und Deserteure, besonders in aktuellen Kriegen zu unterstützen.
Eine gewisse Hilfe für unsere Arbeit ist dabei die Rechtslage. Es gibt das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung – es darf auch im Kriegsfalle nicht eingeschränkt werden – und auch Soldaten müssen es in Anspruch nehmen können. Es gilt das Verbot des Angriffskrieges. Kein Soldat darf sich daran beteiligen; er darf auch keine Kriegsverbrechen begehen. Will er nicht dafür belangt werden, muss er den Dienst verweigern. Zwangsrekrutierungen, insbesondere von nationalen Minderheiten sind nicht erlaubt. Und jeder Mensch hat das Recht, sein Land zu verlassen.
Und wie wir jetzt auch im Ukraine-Krieg wieder sehen: Was schert man sich um Verbote? Die Rechte werden auf allen Seiten missachtet. Deshalb ist die Forderung richtig, dass alle, die davor fliehen, Schutz und Asyl bekommen müssen.
In Russland wie in der Ukraine verwehrt man den Leuten das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und verurteilt Kriegsdienstverweigerer zu jahrelangen Haftstrafen. Um die Soldaten zum Kämpfen anzuhalten, gibt es spezielle Einheiten, die auch schießen dürfen.
Überall wird zwangsrekrutiert und man holt für den Krieg auch Leute aus den Gefängnissen. Wer sein Leben fürs „Vaterland“, „gegen die Nazis“ bzw. „für die Freiheit“ hingibt, dem werden die Sünden erlassen, und er kommt in den Himmel, so die Kirchen. Und die Machthaber versprechen den Sieg. Aber „Freiwillige“ finden sich immer weniger, so dass man von überall Söldner anwirbt. Zugleich wird das Strafmaß für nicht funktionierende Soldaten erhöht. In Belarus ist jetzt sogar die Todesstrafe für Deserteure möglich. Proteste gegen den Krieg werden gnadenlos unterdrückt. Überall wird nach Militärdienstentziehern gefahndet.
Krieg ist ein Verbrechen, dem sich glücklicherweise viele verweigern. Aber die Grenzen sind praktisch zu. Für die normalen Leute, das muss man hinzufügen, denn für die Söhne der Machthaber, der Reichen, der Oligarchen finden sich immer Wege. Für alle anderen ist die Flucht erheblich risikoreicher. So hat z.B. der ukrainische Grenzschutz im Dezember bekanntgegeben, dass man 12.000 Männer gefasst habe, die die Grenze illegal überqueren wollten. 15 seien dabei ums Leben gekommen, und zwei erfroren. Trotzdem ist es bislang etwa eine halbe Million Männern aus Russland, Belarus und der Ukraine gelungen, dem Krieg durch Flucht ins Ausland zu entkommen.
Ukrainer flohen vor allem in die EU, denn da bekommen sie einen befristeten Aufenthalt, bekommen Unterstützung, können die Sprache lernen und arbeiten.
Bei Russen stellt sich das Problem als erheblich schwieriger dar. Da gibt es erstmals eine gute Nachricht: Deutschland hat nach langem Hin und Her beschlossen, dass russische Deserteure Asyl beantragen können. Aber dann hat die EU alle Grenzen zugemacht, d.h. keiner kann mehr legal einreisen. Und dann gibt es noch die Dublin III-Regelung, nach der das EU-Land, das zuerst betreten wird, für das Asylverfahren zuständig ist.Bislang haben es schätzungsweise 300 aus Russland geschafft, nach Deutschland zu kommen und Asyl beantragt. Aber die meisten lässt man gar nicht ins Asylverfahren, denn sie sind ja über ein anderes Land eingereist – und dahin sollen sie nun wieder zurück. Bei Kriegsdienstverweigerern verlangt man, dass sie in Russland einen entsprechenden Antrag gestellt haben und abgelehnt wurden. Bislang gibt es nur ganz wenige Deserteure - deren Fälle sind noch nicht entschieden. Die meisten aber sind Militärdienstentzieher und da stapeln sich inzwischen die Ablehnungen. Sie bekommen kein Asyl, keine Duldung, sondern die Ausreiseaufforderung, und falls sie dieser nicht nachkommen, die Abschiebung.
Ich will meine Zeit nicht überstrapazieren und möchte deswegen zu unserer Arbeit nur einen Aufruf an die EU vorstellen, Kriegsdienstverweigerer, Militärdienstentzieher und Deserteure aufzunehmen und die Grenzen für solche aus Russland wieder zu öffnen. Bitte zu unterschreiben!