Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Mainz-Wiesbaden

Waffenexporte, Waffenstillstand und Verhandlungen

Rede von Bruno Kern, Initiative Ökosozialismus

bei der Kundgebung Stoppt das Töten in der Ukraine – für Waffenstillstand und Verhandlungen! in Mainz am 23. September 2023

im Rahmen der bundesweiten Aktionswoche Stoppt das Töten in der Ukraine – für Waffenstillstand und Verhandlungen!

 

„Wir führen Krieg gegen Russland.“ Wenn Frau Baerbock mal die Wahrheit sagt, dann ist es meistens unabsichtlich. Sie steht mit diesem offenen Bekenntnis nicht allein da. Nicht nur einflussreiche Stimmen aus den USA beteuerten, dass man Russland „bis zum letzten Ukrainer“ bekämpfen will (Chas Freeman). Auch führende ukrainische Intellektuelle, wie etwa der Philosoph Wolodymyr Jermolenko meint etwa, wir müssen endlich akzeptieren, dass sich Russland im Krieg mit Europa befinde. Das ist es, was uns an diesem Krieg unmittelbar angeht: Es ist unsere Regierung, die in unserem Namen handelt, die in unserem Namen die Waffen liefert, mittlerweile im Wert von 18 Mrd. Euro, die in unserem Namen alle diplomatischen Bemühungen mit dem Satz beiseite wischt, mit Russland könne man eben nicht verhandeln (was nachweislich nicht stimmt: Mitten im Krieg gibt es ständig Verhandlungen über Teilaspekte, und vor dem Angriff auf die Ukraine hat Russland eine klare Verhandlungsposition formuliert: Neutralität der Ukraine, Rückkehr zur Russland-NATO-Grundakte, Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen aus Europa und Erfüllung des Minsker Abkommens). Zudem stimmt Heribert Prantls Satz einfach, dass man Verhandlungsbereitschaft auch herbeiverhandeln kann.

Wir feiern demnächst den Tag der deutschen Einheit. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag, der diese deutsche Einheit ermöglicht hat, enthält ein fundamentales Grundprinzip: Die Sicherheitsinteressen eines jeden Staates seien angemessen zu berücksichtigen. Das ist im Vertragstext nachzulesen. Wir müssen uns also auf die leidige Diskussion über die mündliche Zusage an Gorbatschow überhaupt nicht einlassen: Die NATO-Osterweiterung verstößt auf jeden Fall gegen dieses Prinzip. Mittlerweile stehen 300.000 NATO-Soldaten direkt an Russlands Grenzen. Mit der Stationierung von schweren Waffen in Polen hat man die NATO-Russland-Grundakte aus dem Jahr 1997 gebrochen. Der ABM-Vertrag wurde von den USA einseitig gekündigt. Das Luftmanöver Air Defender war bereits 2018 geplant, ein Großmanöver der NATO im Jahr 2020 wurde lediglich aufgrund der Pandemie abgesagt. Russland hat immer wieder zu verstehen gegeben, dass es dies alles als Bedrohung empfindet. Die Annexion der Krim erfolgte zu dem Zeitpunkt, als die Aufnahme der Ukraine in die NATO unmittelbar bevorstand. Den zu verhindern, war vermutlich das Hauptmotiv Russlands, da man durch die Besetzung der Krim einen external dispute schuf, der laut NATO-Statut die Aufnahme eines in einen solchen verwickelten Landes untersagt.

Wer ernsthaft Frieden will, der hat stets zu berücksichtigen, was die andere Seite als Bedrohung empfinden könnte. 

Wer die Vereinbarungen über Waffenlieferungen und Hilfszusagen an die Ukraine verfolgt, wird bald feststellen, dass die westliche Allianz davon ausgeht, dass dieser Krieg noch lange dauern wird. Damit ist aber auch klar: Es geht nicht um das Leid der Menschen in der Ukraine, sondern darum, Russland maximal zu schwächen.

Kampfpanzer, F-16-Jagdbomber, mit abgereichertem Uran verstärkte Munition, Taurus-Marschflugkörper und Streumunition: Diese Entwicklung belegt die Tatsache: Wer sich auf die militärische Logik einlässt, der kommt in ihr um. Ein Schritt bedingt den nächsten. Eskalation ist ein inhärentes Merkmal einer jeden militärischen Logik. Bundespräsident Steinmeier sagt öffentlich unwidersprochen: Wenn die USA Streumunition liefern will, dann könne man ihnen nicht in den Arm fallen. Genau das aber fordert der von Deutschland unterzeichnete Vertrag zur Ächtung von Streumunition. Er verpflichtet die Unterzeichnerländer nicht nur dazu, selbst keine Streumunition einzusetzen, sondern auch deren Einsatz durch andere möglichst zu verhindern. Deutschland, mein Land, meine Regierung, ist damit vertragsbrüchig. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Wir wissen aus anderen Kriegsgebieten, wie sehr dieses Teufelszeug die entsprechenden Regionen noch über Jahrzehnte belastet.

Zu Beginn dieses Krieges trat ich selbst entschieden für Sanktionen gegen Russland ein, weil ich der Meinung war, dass ein Völkerrechtsbruch nicht unkommentiert hingenommen werden darf, dass mit dem Einmarsch in ein anderes souveränes Land ein Grundpfeiler der internationalen Ordnung verletzt wird, mit unabsehbaren Langzeitfolgen. Das kann auch nicht mit dem Hinweis gerechtfertigt werden, dass es diese Verstöße gegen das Völkerrecht bereits vorher von anderer Seite gab. Und schon gar nicht teile ich die Position derer, die die Sanktionen in sozialchauvinistischer Manier aus wirtschaftlichem Eigeninteresse abgelehnt haben, wie etwa Sahra Wagenknecht. Ich habe diesbezüglich meine Meinung geändert: Wenn Sanktionen im Sinne der Beendigung eines Krieges ernst gemeint sind, dann sind sie nicht dafür da, ein Land „in die Knie zu zwingen“, (Baerbock), sondern immer mit einer Exit-Option verbunden, dann bieten sie der sanktionierten Partei eine Alternative an. Das war nicht der Fall. Die westliche Allianz hat sehr schnell klargestellt, dass es ihr nicht um eine möglichst schnelle Beendigung des Konflikts geht. Die Sanktionen sind in diesem Zusammenhang Teil der Kriegsführung der westlichen Allianz gegen Russland. Aus diesem Grund lehne ich sie heute ab. Deren ganze Verlogenheit liegt heute offen zutage: Als Ersatz für das russische Gas hat die EU unter anderem einen Lieferdeal mit Aserbaidschan geschlossen, einem Land, das ebenfalls Krieg führt, einem Land, das, was Repression im Inneren, Verfolgung von Dissidenten, Unterbindung der Meinungsfreiheit betrifft, Russland in nichts nachsteht.

In der Anfangsphase des Krieges hat der ukrainische Präsident Selenskyj Verhandlungsbereitschaft signalisiert, konkret einen neutralen Status der Ukraine und den Autonomiestatus des Donbass angeboten, ganz im Sinne dessen, was Russland vor dem Einmarsch gefordert hat. Er wurde sofort von den Kriegstreibern der westlichen Allianz zurückgepfiffen, namentlich von Boris Johnson und von Joe Biden, die vor einer vorzeitigen Kapitulation gewarnt haben. Spätestens seit diesem Augenblick ist die westliche Allianz genauso wie Putin für diesen Krieg mitsamt seinen Grausamkeiten, für jeden einzelnen Toten dieses Krieges, für jedes Verbrechen in diesem Krieg mitverantwortlich.

Die halbe Wahrheit ist immer eine ganze Lüge: Über die imperialen Bestrebungen Russlands bzw. Putins können wir mehr oder weniger plausible Spekulationen anstellen. Die geopolitischen Interessen der westlichen Allianz dagegen kennen wir aus erster Hand. Sie sind nachzulesen in der NATO-Doktrin, in den jeweils aktualisierten Strategischen Konzepten (das letzte stammt von Juni 2022), in entsprechenden Strategiepapieren der EU. Selbstverständlich stehen im Vordergrund die Sicherung des Zugangs zu Energiequellen, die Absicherung von Handelsrouten und die militärische Flankierung unseres Wohlstands. Auch in der Ukraine gibt es ganz unmittelbare Interessen an Ressourcen, etwa an den reichen Lithium-Vorkommen im Donbass. Und die Ukraine ist als ein wesentlicher Wasserstofflieferant für die EU vorgesehen. Baerbock hat noch im Januar 2022 in Kiew ein Wasserstoffbüro eröffnet. Im Interesse des Wettkampfs um die noch vorhandenen fossilen Ressourcen, die gerade nicht von Erneuerbaren ersetzt werden können (im Gegenteil: Diese setzen fossile Ressourcen gerade voraus, sind ohne sie gar nicht lebensfähig!) ist ein möglichst schwaches Russland von Vorteil.

Zudem werden wir mental zugerüstet für den Krieg. In Russland und in der Ukraine werden KriegsgegnerInnen brutal verfolgt, mit Hausarrest belegt und es wird eine strenge Zensur verhängt. Ganz anders bei uns: Anne will Karriere machen und fügt sich ganz freiwillig. Auf dem evangelischen Kirchentag überboten sich die versammelten Pfaffen in ihrem Übereifer, nach noch mehr Waffen zu schreien – ganz im Sinne des Nazareners. Damit haben sie moralisch endgültig abgedankt. PazifistInnen werden nicht nur lächerlich gemacht, sondern man spricht ihnen zuweilen ihr Menschsein ab – so etwa, wenn der Comedian Bastian Bielefelder Sahra Wagenknecht als korrumpierten Zellhaufen bezeichnet. Die heute so sehr auf wokeness bedachte Öffentlichkeit hat das keineswegs empört.

Seit letztem Jahr beobachten wir weltweit eine Aufrüstungswelle, die es so noch nie gegeben hat. Die jährlichen weltweiten Rüstungsausgaben haben die Zwei-Billionen-Dollar-Grenze inzwischen bei Weitem überschritten. Gleichzeitig wird überall auf der Welt die Militärpräsenz verstärkt, zum Beispiel im Pazifik. Das alles beschwört nicht nur die Gefahr eines Dritten Weltkriegs herauf. Die menschliche Zivilisation steht inzwischen ökologisch am Abgrund. Die militärische Aufrüstung steht natürlich in direkter Konkurrenz zur Kraftanstrengung, die jetzt nötig wäre, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu sichern und die kommenden Katastrophen einigermaßen in Schranken zu halten. Wer das ökologische Desaster möglichst begrenzen und einhegen will, der muss sich gleichzeitig von jeder militärischen Logik verabschieden. Soziale Verteidigung ist die Alternative. Sie geht davon aus, dass keine Grenzverschiebung das Opfer auch nur eines Menschenlebens rechtfertigen kann. Sie geht im Sinne von Immanuel Kant von der Unüberbietbarkeit jedes Menschenlebens aus. Und die Zeit wird kommen, in der wir mit „deutscher Aufklärer“ keine Kriegswaffe, sondern den großen Philosophen aus Königsberg (heute Kaliningrad) assoziieren. Und er wusste auch, dass kein Krieg, auch kein „Verteidigungskrieg“, in dem sich jeweils der Stärkere durchsetzt, jemals Recht begründen kann.

Soziale Verteidigung bedient sich des gesamten Arsenals zivilen Ungehorsams und der Verweigerung der Kooperation mit dem Gegner, das ansatzweise bei uns auch der radikalere Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiviert. Es ist Zeit für ein starkes Bündnis zwischen Klimagerechtigkeits- und Friedensbewegung. Es ist Zeit, dass wir uns nicht mehr an Straßenkreuzungen kleben, sondern zum Beispiel vor die Tore von Rheinmetall in Düsseldorf!

Uns Lumpenpazifisten wird ja öfter vorgeworfen, wir seien nach rechts offen. Meine Gegenfrage: Welcher Rechte kann unsere Forderung nach einer Bundesrepublik ohne Armee unterschreiben? Können Chrupalla, Höcke und Weidel unsere Forderung nach einem vollständigen Rüstungsexportverbot und nach einem Einstellen der Rüstungsproduktion unterschreiben? Wohl kaum. Und gibt es eigentlich etwas, das stärker „nach rechts offen“ ist als die Forderung nach unserem Sieg an der Ostfront?

Ich danke euch.

 

Letztes Update: 24.09.2023, 13:58 Uhr