Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Mainz-Wiesbaden

1 1/2 Jahre nach Beginn des Ukraine-Krieges: Wo steht die Friedensbewegung?

Rede von Harald Gewehr, Mitglied der DFG-VK Gruppe Mainz-Wiesbaden

bei der Kundgebung Stoppt das Töten in der Ukraine – für Waffenstillstand und Verhandlungen! in Mainz am 23. September 2023

im Rahmen der bundesweiten Aktionswoche Stoppt das Töten in der Ukraine – für Waffenstillstand und Verhandlungen!

Liebe Friedensfreund:innen und Andersdenkende,

Ich spreche heute für die Gruppe Mainz-Wiesbaden der DFG-VK. Im Vorfeld habe ich meinen Redevorschlag herumgeschickt und einige Anregungen und Verbesserungsvorschläge erhalten. Vielen Dank dafür!

Als ich zusagte bei dieser Kundgebung eine Rede zu halten, dachte ich daran, eine Rückschau auf die Ereignisse in der Ukraine zu halten. Wie wurde darüber berichtet? Welche Vorhersagen wurden über diesen Krieg getroffen? Was ist tatsächlich eingetreten? Aber wir wissen wohl alle, dass viele Vorhersagen über den Kriegsverlauf falsch waren. Russlands Angriffskrieg dauert immer noch an. Die Ukraine verteidigt sich nach wie vor. Natürlich kann der ukrainische Staat dies auch tun, wegen der massiven Unterstützung durch Waffenlieferungen!

Das Kriegsgeschehen geht seit langem hin und her, ohne dass ein Ende abzusehen ist. Ich wage keine Prognose abzuliefern, wie der weitere Verlauf sein wird. Die Falschheit vieler Vorhersagen hat aber nicht dazu geführt, dass sich Einstellungen zum Krieg massiv geändert haben.

Leider muss ich gestehen, dass mich das nicht verwundert hat. Denn Fakten und Realitäten bewirken selten und dann mit einer schneckenartigen Geschwindigkeit, dass sich Meinungen der Realität anpassen. Menschen sind vielmehr meisterhaft darin, ihre Wahrnehmung so zu verdrehen, dass sie zu ihren Ansichten passt.

Diejenigen, die schon seit Anfang des Krieges wussten, dass Russland diesen Angriffskrieg nicht lange durchhält, wissen das immer noch. Diejenigen die wussten, dass die Ukraine schnell von Russland überrannt wird, glauben dies ebenso.

Aber es ist für mich unübersehbar, das viele Menschen Not leiden, Hungern und Sterben. Für mich steht aber das Wohlergehen der Menschen über den Interessen von Staaten. Deshalb kann ich weder der Ukraine gratulieren, noch meine Daumen für Russland drücken und auch keine Waffenlieferungen befürworten.

Menschen in der Ukraine haben in Vergangenheit unter Russischer Herrschaft gelitten. Millionen sind sinnlos gestorben. Aber diese furchtbare Vergangenheit kann keine Rechtfertigung für das heutige Sterben sein.

Ich bin mir sehr sicher, dass am Ende des Krieges Verhandlungen stattfinden werden. Wir sollten alles tun, damit diese Verhandlungen sofort stattfinden! Die Lieferung von weiteren Waffen dient diesem Ziel nicht.

Der ukrainische Staat verteidigt sich. Ich halte dies nicht für den richtigen Weg, um das Beste für die Menschen zu erreichen. Dies ist meine Ansicht. Sie ist gleichberechtigt zu anderen Meinungen.

Ich muss mir auch die Frage stellen: Wer bin ich denn? Bei all meiner Fantasie und meinem Vorstellungsvermögen, weiß ich sehr wohl, dass ich mich irren kann. Ich lebe im Frieden und habe nie Krieg erlebt. Ich habe schon mehrfach erlebt, dass sich die Realität ganz anders anfühlt, als ich es mir vorher ausgemalt habe. Ich denke, dass der ukrainische Staat die falschen Schlüsse zieht und sich im Sinne der Menschen, die in ihr leben, falsch verhält. Das ist meine Meinung, aber keine Gewissheit.

Leider ist die sogenannte Friedensbewegung heute gespalten. Sie ist es schon länger, aber in Vergangenheit spielten oft unterschiedliche Ansichten keine große Rolle. Heute ist dies anders.

Teile der Friedensbewegung werfen anderen Teilen vor, die Bedeutung der NATO herunterzuspielen. Dabei sei sie doch der Hauptakteuer. Umgekehrt lautet der Vorwurf, dass die Rolle von Russland verharmlost wird.

Ich habe meine Ansichten dazu: Während die NATO und NATO-Staaten in vielen Kriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen als Aggressor wahrgenommen wurde, fällt es heute vielen schwer, Russland als kriegstreibende Kraft anzusehen. Dabei ist es doch so einfach: Russland hat die Ukraine überfallen. Die Handlungen von Russland führen zu Leid. Sicherlich ist die Vorgeschichte zu diesem Krieg wichtig. Natürlich hat die NATO auch ihren Anteil an der Entwicklung. Aber es bleibt Realität: Russland ist Täter.

Viele Menschen in der Friedensbewegung versuchen, dies zu relativieren.

Darin sehe ich Folgendes:

  • Menschen sprechen Russland ab, souverän zu agieren. Der russische Staat ist aber verantwortlich für seine Handlungen. Russland ist doch keine Marionette, die von der NATO gesteuert wird. Auch der ukrainische Staat handelt selbstständig und wird nicht fremdgesteuert.
  • Vielen Menschen in der Friedensbewegung fällt die Anpassung ihrer Meinung an die Realität schwer und sie tun sehr viel, um bei ihren alten Feindbildern und auch Sympathien bleiben zu können. Darin unterscheiden sie sich nicht von den Kriegstreibern.

Aufgrund dieser unterschiedlichen Interpretationen können wir heute leider nicht mehr geeinigt gegen alle Akteure dieses fürchterlichen Krieges vorgehen.

Gerade jetzt bräuchten wir doch eine starke Friedensbewegung, aber sie ist schwach.

Leider konnte sie auch im Vorfeld diesen Krieg nicht verhindern. Das lässt mich die Frage stellen, was hätten wir anders machen können? Letztlich ist sicherlich die Friedensbewegung nicht schuld an diesem Krieg, aber hätten wir mehr tun können, die Kriegsursachen zu beseitigen?

Lasst uns alles tun was wir tun können, diesen Krieg schnellstmöglich zu beenden. Schonen wir dabei die NATO nicht und schonen wir auch die Ukraine und Russland nicht in unserer Analyse.

Für die Menschen, für Freiheit und Frieden. Und am wichtigsten vielleicht: Für das Leben!

Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.

Vielen Dank

 

Letztes Update: 24.09.2023, 14:02 Uhr