Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Mainz-Wiesbaden

Nein zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine! Solidarität mit Kriegsdienstverweigern und Deserteuren!

Rede von Dr. Gernot Lennert, Landesgeschäftsführer DFG-VK Hessen,
beim Mainz-Wiesbadener Ostermarsch 2022 in Wiesbaden, 16.4.2022


Wir sind nun in der siebten Woche des ungeheuerlichen massenmörderischen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine, und es ist kein Ende absehbar. Russland hat gerade wieder mit Atomwaffen gedroht. Der Krieg kann zum weltweiten Atomkrieg eskalieren. Seit der Annexion der Krim war zu befürchten, dass der Krieg im Donbas und die politischen Spannungen zu einem größeren Krieg führen. Aber dass in Europa ein Staat so offen und so brutal einen anderen überfällt mit dem erklärten Ziel, ihn zu erobern und als Staat auszulöschen, hat offenbar niemand erwartet, noch nicht einmal in der Ukraine.

Wir fordern: Stoppt den Krieg! Sofortiger Waffenstillstand, damit der Massenmord so schnell wie möglich aufhört und so viele Menschenleben wie möglich gerettet werden können! Russische Truppen raus aus der Ukraine! Aufnahme von Friedensverhandlungen!

Wir lehnen Krieg, Militarismus, Imperialismus, Nationalismus und Menschenrechtsverletzungen überall ab. Deshalb mussten und müssen wir auch die Politik westlicher Staaten und der Ukraine kritisieren. Doch nichts, was seitens des Westens oder der Ukraine geschehen ist, rechtfertigt den verbrecherischen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg von Russland und Belarus gegen die Ukraine auch nur im Geringsten.

Seit 1999 haben sich die Beziehungen zwischen westlichen Staaten und Russland stetig verschlechtert. Von westlicher Seite wurde Russland verhängnisvoll unterschätzt. Bis 2014 lieferte die deutsche Rüstungsindustrie sogar Waffen an Russland. Westliche Staaten führten völkerrechtswidrige Angriffskriege wie den Kosovo-Krieg und den Irak-Krieg, das NATO-Mitglied Türkei eroberte mit deutschen Waffen mordend und vertreibend kurdische Gebiete in Syrien. Wichtige Rüstungskontrollverträge wurden westlicherseits gekündigt oder nicht weitergeführt: der ABM-Vertrag über Raketenabwehr, der INF-Vertrag zum Verbot von Mittelstreckenraketen und der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa. In Polen und Rumänien wurden US-amerikanische Raketen stationiert. Das Rüstungskontrollsystem, das die Risiken des Ost-West-Konflikts verringerte, wurde leichtfertig beseitigt und fehlt heute. Die Gefahr eines atomaren Weltkriegs ist schon seit Jahren größer als in den 1980er Jahren.

Parallel dazu wuchsen in Russland aggressiver Natio­nalismus und Imperialismus sowie die Repression im Innern bis hin zu Morden an Oppositionellen. Die russische Kriegsmaschinerie ver­wüstete zweimal Tschetschenien, führte Krieg in Georgien und in Syrien. Putin begleitet den Krieg mit dreisten Lügen, Halb­wahrheiten und absurden Phantastereien.

Unsere Solidarität gehört den mutigen Menschen, die in Russland gegen den Krieg protestieren, ob­wohl ihnen 15 Jahre Haft drohen, und denjenigen, die sich überall dem Krieg durch Kriegsdienstverweige­rung, Desertion und Flucht verweigern. In Belarus scheint der Widerstand effiziert zu sein. Wegen Sabotage, Desertionen und Widerständen im Militär sind belarusische Truppen nicht wie geplant in die Ukraine vorgestoßen, offenbar auch weil man fürchtet, dass sich die Soldaten den belarusischen Freiwilligen anschließen könnten, die auf Seite der Ukraine gegen die Lukaschenko-Diktatur kämpfen.

Ukrainische Männer sind in einer verzweifelten Lage. Ihnen droht einerseits die Ermordung durchs russische Militär, andererseits verweigert der ukrainische Staat Männern von 18 bis 60 Jahren die lebensrettende Flucht, um sie zwangszurekrutieren und in Todesgefahr zu schicken. Wir fordern offene Grenzen für alle Fluchtwilligen, auch für Männer und an den EU-Grenzen dis­kriminierte dunkelhäutige Menschen.

In diesen Tagen werden wir nach dem Pazifisten Ruslan Kozaba in der Ukraine gefragt, über den wir vor einem Jahr auch beim Ostermarsch sprachen. Er wird seit 2015 vom ukrainischen Staat verfolgt, weil er in einem Video den Krieg in der Ostukraine verurteilt und zur Kriegsdienstverweigerung aufgerufen hatte. Er wurde deshalb wegen „Landesverrats“ und „Behinderung der Tätigkeit der Streitkräfte“ zu 3 ½ Jahren Gefängnis verurteilt. Nach einer internationalen Solidaritätskampagne und 16 Monaten Haft wurde er freigesprochen und freigelassen. Doch der Freispruch wurde aufgehoben, die juristische Verfolgung wiederaufgenommen. Seitdem Ruslan im Juni 2021 zum zweiten Mal von ukrainischen Ultranationalisten, darunter ein bekanntes Mitglied der faschistischen Organisation Rechter Sektor, gleichzeitig Polizist, überfallen und verletzt wurde, hält er sich versteckt. Sein Leben ist heute doppelt bedroht: von russischen Raketen und Bomben und von ukrainischen Faschisten.

Ukrainische Faschisten gibt es, sogar militärisch organisiert. Doch es ist absurd und lächerlich, wenn ausgerechnet Putin die Ukraine des Neonazismus bezichtigt und damit den Krieg zu rechtfertigen versucht. Auf der russischen Seite der Front stehen ebenfalls Faschisten und Rechtsextreme, z.B. die Russische Nationale Einheit, Russische Orthodoxe Armee, das Sparta-Battaillon und die Russische Imperialbewegung. Putins Russland ist Zentrum der interkontinentalen Vernetzung von Rechten aller Art geworden, sowohl von offenen Faschisten als auch von rechten Parteien wie AfD, FPÖ und Rassemblement National. Putin ist weltweit Identifikationsfigur für weißen Rassismus und christlichen Nationalismus. Putin bekennt sich zur extrem nationalistischen Russisch-Orthodoxen Kirche und zum russischen Imperialismus und Nationalismus und orientiert sich an russischen faschistischen Ideologen, darunter Aleksandr Dugin. Dugin propagiert ein eurasisches Großreich unter russischer Führung: ein kollektivistisches, völkisches, religiöses, sozial reaktionäres kontinentales Landreich gegen Liberalismus, Aufklärung, individuelle Freiheiten, Menschenrechte und die vermeintliche moralische Dekadenz der westlichen Seemächte.

Dass man nun von ukrainischer Seite die Neutralität der Ukraine in Erwägung zieht, gibt Hoffnung. Die Ukrainische Pazifistische Bewegung fordert schon lang die Neutralität, ebenso wie das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung und das Verbot des Militärdienstzwangs. Bereits im Juli 2021 hatte die Ukrainische Pazifistische Bewegung beklagt, dass die Ukraine zum Schlachtfeld des neuen Kalten Kriegs zwischen den USA und Russland geworden war und dass die Großmächte mit dem Feuer spielten.

Man hätte 2014 die Neutralität der Ukraine beibehalten können, einfach weil sie in dieser geopolitischen Situation vernünftig war und ist. Neutralität half schon oft, Spannungen zu vermindern. Leider wird hartnäckig verbreitet, die einstige Neutralität hätte der Ukraine nichts gebracht, weil sie die Annexion der Krim nicht verhindert habe. Richtig ist, dass 2014 eine radikal-nationalistische Übergangsregierung die Macht übernahm, die in die NATO strebte. Erst nach dieser Abkehr von der Neutralität annektierte Russland die Krim.

Die bisherige Politik der massiven Aufrüstung und der Konfrontation ist gescheitert und hat den russischen Angriffskrieg nicht verhindert. Auch noch höhere Rüstungsausgaben werden nichts verbessern. Deshalb Nein zu noch mehr Aufrüstung!


Alle Staaten fordern wir auf, die Zwangsrekrutierung von Menschen für Militär und Krieg zu beenden. Wir sind für Frieden und für die Rechte auf Leben und Freiheit. Deshalb sagen wir aus friedenspolitischen und aus menschenrechtlichen Erwägungen:
Nein zu allen Kriegs- und Zwangsdiensten überall, in Russland, der Ukraine, Belarus und auch in Deutschland!
Kriegsdienstverweigerer und Deserteure, russische, belarusische sowie ukrainische brauchen Asyl, in Deutschland und in der EU.

 
Zum Schluss ein praktischer Hinweis: Der Verein Connection hat eine Erstanlaufstelle in russischer Sprache für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Russland, Belarus und der Ukraine eingerichtet, die über Telefon und E-Mail erreichbar ist. Außerdem hat Connection eine Grundlageninformation für Kriegsdienstpflichtige und unzufriedene Soldaten jeweils für Russland, Belarus und die Ukraine erstellt. Weitere Informationen und die Kontaktdaten sind erhältlich am Infostand der DFG-VK und werden auch als Flugblatt verteilt.

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Letztes Update: 22.04.2022, 13:38 Uhr