Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Mainz-Wiesbaden

Ruslan Kozaba frei

Treffen in Mainz am 17. Oktober 2022

Dem seit 2015 vom ukrainischen Staat verfolgten Journalisten und Pazifisten Ruslan Kozaba, der von der DFG-VK seitdem unterstützt wurde, ist es gelungen, die Ukraine zu verlassen.

Auf seinem Weg von der Ukraine in die USA kam er am 17. Oktober 2022 nach Mainz, wo es innerhalb von wenigen Stunden gelang, ein Treffen mit Ruslan Kozaba, seinem Begleiter Kyryll Moltschanow und etlichen Aktiven der Friedensbewegung zustandezubringen.

Die DFG-VK, Connection e.V. und die Berliner Initiative "Freiheit für Ruslan Kotsaba" haben seit 2015 Ruslan Kozaba unterstützt, beginnend mit einer Mahnwache vor dem ukrainischen Generalkonsulat in Frankfurt  im Dezember 2015 und etlichen weiteren Aktionen und Veranstaltungen in Berlin, Mainz und anderswo.

In Mainz hatte es zuvor schon zwei Abendveranstaltungen zur Unterstützung von Ruslan Kozaba gegeben:

Als Ruslan Kozaba inhaftiert war, informierte seine Frau Uljana Kozaba bei fünf Veranstaltungen in Deutschland über sein Schicksal. Am 30. Mai 2016 sprach sie auch in Mainz.

Ruslan, der zu 3 1/2 Jahren Gefängnis verurteilt worden war, wurde nach 16 Monaten im Gefängnis freigesprochen und freigelassen.

Doch der Freispruch wurde aufgehoben und die Verfolgung wieder aufgenommen. Darüber berichtete Ruslan Kozaba bei einer Veranstaltung in Mainz am 24. Januar 2018.

Tonaufnahmen von diesen Veranstaltungen und Hintergrundinformationen

Anlässlich mehrerer Prozesstermine forderten Aktive der Friedensbewegungen in Kundgebungen und bei Mahnwachen vor dem ukrainischen Honorarkonsulat in Mainz das Ende der politischen motivierten Verfolgung von Ruslan Kozaba:

Mahnwache am 21. Januar 2021

Im Rahmen der Abschlusskundgebung des Mainz-Wiesbadener Ostermarschs 2021

Mahnwache am 23. Juni 2021

Mahnwache in Mainz am 2. August 2021

Mahnwache in Mainz am 17. September 2021

 

 „Ich habe die Ukraine verlassen“

Treffen mit dem Journalisten und Pazifisten Ruslan Kozaba

am 17. Oktober in Mainz

Ruslan Kozaba berichtete und beantwortete Fragen

Ich bin sehr dankbar, dass ihr, als ich im Gefängnis war und als ich vor Gericht stand, Demonstrationen und Mahnwachen vor dem ukrainischen Konsulat in Mainz gemacht habt. In der Ukraine hast du keine Möglichkeit in der Öffentlichkeit zu sagen, dass du gegen den Krieg bist, du darfst keinen Friedensprozess fordern, keine Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland. Du bist politischer Repression ausgesetzt und landest im Gefängnis.

Ich habe die Ukraine verlassen müssen aufgrund des Krieges und Präsident Selenskyj. Der hat eine quasi-Diktatur aufgebaut, es gibt keine Demokratie mehr. Er schloss alle Fernsehprogramme, es gibt nur noch einen Regierungssender. Es gibt keine politischen Parteien mehr, du hast keine demokratischen Einrichtungen mehr. Es gibt keine Wahlen mehr, und du hast keine Möglichkeit mehr etwas anderes als die offizielle Regierungsposition zu vertreten.

Ich war vor zwei Wochen im Europäischen Parlament, da gab es regelrechte Aggressionen gegen den deutschen Kanzler und die Abgeordneten stimmten für die Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte. Nur 20 Abgeordnete waren dagegen. Euer Parlament ist sehr militaristisch geworden und auch die Gesellschaft.

Sie wollen nur Krieg, geben Geld, bilden ukrainische Soldaten aus, geben Waffen ... Wann hat das ein Ende?

Alle europäischen Regierungen, die nun die Ukraine, den Präsidenten und seine Regierung unterstützen, sind Teil dieses Krieges.

Kyryll Moltschanow/Übersetzer, Journalist, ebenfalls aus der Ukraine geflohen: Ich habe mit Ruslan für das ukrainische Fernsehen gearbeitet und mit Beginn des Krieges hatte auch ich Probleme mit der Regierung aufgrund meiner öffentlich gemachten politischen Meinung. Ich nutzte die Möglichkeit im Mai mit meinen Eltern nach Deutschland ausreisen zu können. Ich habe das „Internationale Institut zur Untersuchung der Kriegsfolgen in der Ukraine“ mitbegründet. Wir haben einige analytische politische Berichte über die Situation in der Ukraine veröffentlicht und auf unsere Website gestellt. Man kann sie dort finden. Ich lebe nun in der Nähe von Frankfurt, werde aber versuchen in die USA zu kommen.

Frage: Wie gelang die Ausreise?

Ruslan: Männer von 18 bis 60 Jahren haben keine Möglichkeit das Land zu verlassen. Aber es gibt gesetzliche Ausnahmen. Eine davon ist, dass du deine Eltern, deine Frau, falls diese behindert sind, bei der Ausreise zur Unterstützung begleiten kannst. Meine Mutter hat gesundheitliche Probleme und so hatte ich die Möglichkeit mit ihr ins Ausland zu gehen. Das ist legal, aber du benötigst dafür entsprechende medizinische Atteste. Anschließend ging sie wieder zurück und ich blieb in Deutschland.

Kyryll: Ich habe die Ukraine mit meinem Vater verlasen, der nach einem Autounfall Probleme mit den Beinen hat.

Ruslan: Wenn ich nun in der Ukraine wäre, hätte ich Probleme, da ich ein Fall vor Gericht bin. Mein altes Verfahren setzt mir seit Kriegsbeginn arg zu. In ein paar Wochen müsste ich wieder dort erscheinen. Ich war im Hausarrest und der Staatsanwalt könnte verfügen, dass ich inhaftiert werde. Mir drohen fünf bis sieben Jahre Gefängnis weil ich die Politik des früheren und des jetzigen Präsidenten kritisiert habe. Ich wollte in Sicherheit leben und musste deswegen ins Ausland gehen. Die ukrainische Regierung sagt, wir seien Feinde des Volkes.

Ich will nun in die USA gehen, denn meine zwei Brüder leben dort. Und es gibt dort ein Unterstützungsprogramm: United for Ukraine. Ich habe ein Schreiben der US-Regierung, dass ich eine Möglichkeit habe, einzureisen und dann dort zu arbeiten. Denn ich denke, in Europa ist das Leben unsicher, denn das Selenskyj-Regime könnte mir Probleme bereiten und z.B. über Interpol meine Auslieferung verlangen. So denke ich, dass es in den USA sicherer ist.

Ein Abgeordneter des Bundestages ist mit mir in die Generalversammlung des Europäischen Parlaments gefahren um Abgeordnete aus Österreich, Deutschland und Frankreich zu treffen. Bei denen habe ich nachgefragt, ob ich in der EU einen Status als politischer Flüchtling bekommen kann und alle sagten, dass es da Schwierigkeiten geben dürfte aufgrund meiner politischen Einstellung. Sie konnten mir keine Unterstützung, keine Hoffnung geben.

Ich sehe es so: Die Pazifistische Bewegung ist verloren. Wir haben nicht gut gearbeitet. Die Leute lieben den Krieg, nicht nur die in der Ukraine, sondern auch die in den europäischen Ländern. Und dieser Krieg wird größer und größer. Es ist eine sehr schreckliche Situation, da das ein Stellvertreter-Krieg zwischen USA und Russland ist, der in der Ukraine stattfindet. Die Ukrainer haben die größten Probleme, große Teile der ukrainischen Gesellschaft haben alles verloren und es gibt kein absehbares Ende.

Pazifistische Ideen sind nirgends populär, nicht in der Ukraine und vermutlich auch nicht in Europa. Das sieht man auch an den Medien: Sie wollen diesen Krieg mit Russland.

Auch Andrej Hunko sagte mir, dass er keine Möglichkeit sieht, sich öffentlich für Friedensverhandlungen einzusetzen, da er in diesem Falle sofort als pro-russischer Agent gebrandmarkt würde. Es gibt Abgeordnete, die denken wie er, auch in der EU, aber auch sie berichteten von ihren Problemen in ihren Staaten und mit ihren Medien.

Ich bestreite nicht, dass Putin die Ukraine angegriffen hat, und ich denke, dass er damit einen großen Fehler begangen hat, aber in Europa und in den USA gibt es viele Leute, die denken, dass der Krieg gewonnen werden könnte. In den USA ist man sehr glücklich, weil die deutsche Ökonomie runter geht - man hat keine Möglichkeit mehr billiges russisches Gas und Öl zu bekommen - und die USA profitieren davon. Wäre es da nicht normal, über einen Friedensprozess nachzudenken? Aber das darf in der Öffentlichkeit nicht gesagt werden.

Ein großes Problem ist auch, dass die europäischen Länder russische Bürger nicht unterstützen, damit sie nach Europa zu können. Denn viele Leute in Russland haben bei den Wahlen nicht für Putin gestimmt. Aber wenn die Grenzen geschlossen sind, denken sie, dass ihre Position nicht unterstützt wird. Die Schließung der Grenzen ist eine Unterstützung des Putin-Regimes und eine Abwertung der russischen Gesellschaft. Die in Europa lebenden russischen Leute sehen sich zwischen allen Stühlen. Sie lieben Putin nicht und gleichzeitig macht man ihnen hier Probleme. Das stabilisiert das Putin-Regime. Putin wird stärker, denn die russische Gesellschaft hat keine Möglichkeit zur Opposition. Es ist wie 1946, als Churchill in seiner berühmten Rede den Eisernen Vorhang zwischen der UdSSR und Europa anprangerte. Nur, dass der Eiserne Vorhang nun von Europa errichtet wurde.

Dieses Blockdenken ist für die Ukraine eine große Tragödie, denn jeden Tag sterben Leute, jeden Tag gibt es Bomben und Zerstörungen. Heute Morgen wurden von Russland iranische Drohnen auf die Hauptstadt Kiew abgeschossen.

Als ich zuletzt bei meinem Freund in Berlin war, da habe ich im Fernsehen die Demonstration gegen die US-Basis in Ramstein gesehen. Solche Ideen sind nun nicht mehr populär. Auch die jungen Leute engagieren sich jetzt nicht mehr für Pazifismus und Abrüstung, sondern für den Krieg mit dem Osten.

In der Ukraine, in der Armee, da gibt es viele ausländische Leute aus vielen Ländern Europas. Auch in Europa gibt es viele Leute, die den Krieg und Kriegsideen lieben. Sie wollen nicht sehen, dass das ein sehr großes Problem darstellt.

Frage: Wie siehst du die internationale Unterstützung für Selenskyj für den Krieg?

Ruslan: Vor drei Jahren, als sich Selenskyj zu Wahl stellte, da konnte man unter anderem seine Wohnung in London bewundern und sein gutes Verhältnis zu Boris Johnson, seinem Freund. Selenskyjs Macht speist sich aus der internationalen Unterstützung, vor allem aus Großbritannien.

Was muss passieren, damit es zu einem Frieden kommt?

Ruslan: Momentan sehe ich noch keinen Ausweg aus der Situation. Es erinnert mich an den Vietnamkrieg der USA. Da war es lange genauso. Bis, ich glaube, es war 1967, als es zum ersten Mal eine große Demonstration dagegen vor dem Pentagon gab. Da kamen Frauen der Soldaten, Kinder der Soldaten… Das war ein Markstein, ein Umschwenken in der Gesellschaft. Das US-amerikanische Establishment hatte kein Interesse an einer Beendigung des Konflikts. Aber die Politiker mussten auf die Demonstration reagieren. Denn jeder Krieg verursacht viel menschliches Leid und kostet eine Unmenge Geld.

Aber auch wenn die ukrainische Gesellschaft einen Friedensprozess wollen würde, man würde nirgends auf sie hören.

Was passiert mit Kriegsdienstverweigerern?

Ruslan: Nun haben wir Kriegsrecht und wir haben einen Prozess der Mobilisierung. Wenn du den Einberufungsbefehl bekommst und nicht hingehst, musst du für drei bis fünf Jahre ins Gefängnis. Du hast keine Möglichkeit aus religiösen oder anderen Gründen zu sagen, ich will nicht kämpfen. In der Armee wirst du zwei Wochen ausgebildet, dann geht es an die Front in den Osten oder den südlichen Teil der Ukraine. Mit Geld, wenn du 2.000 €, 3.000 € oder gar 5.000 € bezahlen kannst, dann kannst du das Land verlassen. Das ist zwar nicht legal, aber üblich. Die Ukraine ist ein sehr korrupter Staat. Die jungen Leute, die jetzt überall in Europa sind, die haben bezahlt und damit dieses Problem nicht mehr. Den Nutzen haben die europäischen Länder, wie z.B. Polen und Deutschland. Dort sind ukrainische Flüchtlinge billige Arbeitskräfte. Vermutlich wollen viele der Geflohenen nicht mehr in die Ukraine zurückkehren.

Stimmt die Zahl von 10.000 toten Soldaten und noch mehr Verwundeten?

Ruslan: Das ist die offizielle Zahl, wie kannst du die glauben? Militärexperten aus den USA und Europa sagen, dass es vermutlich 70.000 oder 80.000 sind. In der Ukraine kennen die Leute nur die offizielle Zahl, denn Präsident Selenskyj macht eine sehr gute Informationspolitik. Die Zahlen werden je nach Zweck veröffentlicht. Bismarck sagte: Am meisten wird gelogen, bei Wahlen und im Krieg.

Die Grenze in den Westen der Ukraine ist geschlossen. Ist eine Flucht in den Osten, nach Russland und Georgien, möglich?

Ruslan: Ja, ich habe davon gehört. Viele Ukrainer, besonders aus der Südukraine, aus Cherson und Donezk haben Verwandte in Georgien. Da die Grenze nach Westeuropa geschlossen ist, bleibt ihnen keine andere Wahl. Ich kenne zwei Männer, die waren in Mariupol und arbeiteten in Asowstal, die wollten, als die russische Armee kam, in die Ukraine, aber sie kamen nicht durch die Front. Wer aus diesen Gebieten nach Kiew fliehen will, muss über Russland, die Baltischen Staaten und Polen. Es gibt derzeit keine andere Route.

Als ich in Baden-Baden im Bahnhof war, da habe ich eine Familie aus Russland getroffen, die Geld gesammelt hat für Leute, die aus Russland fliehen wollen. Sie sagten, dass sie sich nicht trauern, das Geld öffentlich zu sammeln, da sie Nachteile sowohl der russischen wie auch der europäischen Regierungen befürchten. Die einzigen offenen Fluchtwege sind derzeit Georgien und Kasachstan, aber es gibt in diesen Ländern für die Flüchtlinge keinerlei Unterstützung durch die Regierungen.

Wie ist in der Ukraine die Situation mit den Sprachen Russisch und Ukrainisch?

Kyryll/Ruslan: Das ist ein Problem, das die Politiker mit dem Sprachgesetz geschaffen haben. Aber an der Basis gibt es da keine Konflikte. Kiew z.B. ist eine russischsprechende Stadt. Auch in anderen Orten gibt es eigentlich keine Probleme, denn die russische und die ukrainische Sprache sind sehr ähnlich. Mir kommen die Unterschiede vor wie die zwischen dem Serbischen und dem Kroatischen. Die diskriminierende Politik gegenüber dem Russischen kommt von ukrainischen Politikern und der Regierung. Präsident Poroschenko dachte, er könnte mit dem Sprachgesetz alle pro-russischen Ideen in der Ukraine ausrotten. Heute sehen wir, dass das vermutlich eine Ursache für den Beginn des Krieges war. Auch meine Freunde wollen, dass wir uns nun auf Facebook in Ukrainisch schreiben, aber zuhause sprechen sie russisch. Es gibt nur sehr wenige, die nur die russische Sprache sprechen – das ist dann schlecht für sie.

Frage: Was wäre deiner Ansicht nach eine ideale Sprachpolitik für die Ukrainie?

Ruslan: Eine gemeinsame Sprache ist natürlich gut für eine Nation. Aber die Regierung vertritt das Konzept: Ein Staat, eine Sprache, eine Nation.

Werden Russen diskriminiert?

Ruslan: Ja. Wenn jemand in der Arbeit, z.B. in einem Restaurant, in der Universität, in der Schule usw. Russisch spricht, bekommt er Probleme, denn das ist nicht erlaubt und du wirst entlassen. Zuhause oder auf der Straße ist es aber möglich.

Präsident Selenskyj spricht Russisch, aber er denkt nicht darüber nach, was das Sprachgesetz für Probleme mit sich bringt.

Ich habe gehört, dass Klitschko, der Bürgermeister von Kiew und auch andere, kritisiert wurden, weil sie Interviews in Deutsch oder anderen Sprachen gegeben haben.

Ruslan: Das ist so. Nach dem Sprachgesetz dürfen Offizielle nur Ukrainisch sprechen. Wenn sie in anderen Sprachen sprechen, kann das zwar nicht bestraft werden, aber es kann eine Geldbuße gegen sie verhängt werden.

Hätte Präsident Poroschenko nicht dieses Sprachproblem geschaffen, hätte es vielleicht auch keinen Krieg gegeben. Denn in den südlichen und östlichen Teilen der Ukraine dachten viele Leute, da sie Russisch sprechen, dass Kiew sie diskriminieren will – und haben deswegen zu den Waffen gegriffen.

Vortrag von Ruslan Kozaba bei der DFG-VK in Mainz, 17. Oktober 2022. Abschrift, Übersetzung und Bearbeitung: Franz Nadler, Connection e.V.

(für die Veröffentlichung auf der Homepage der DFG-VK Mainz-Wiesbaden wurde die Transkription der ukrainischen Namen so vereinheitlicht, dass für alle Namen die deutsche Umschrift verwendet wurde).

Letztes Update: 02.11.2022, 13:41 Uhr