Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Mainz-Wiesbaden

Antikriegstag und Reaktivierung des Zwangs zum Kriegsdienst

Rede von Dr. Gernot Lennert, Landesgeschäftsführer der DFG-VK Hessen
bei der Kundgebung zum Antikriegstag in Wiesbaden, 31. August 2025

Der 1. September 1939 gilt als Beginn des 2. Weltkriegs.

Nach dem 1. Weltkrieg gab es Ansätze für eine friedlichere Weltordnung. Die pazifistische Idee, Konflikte friedlich mit internationalen Organisationen zu lösen, wurde mit dem Völkerbund aufgegriffen. 1928 ächtete der Briand-Kellogg-Pakt den Angriffskrieg. Doch es folgten Eroberungskriege und Annexionen, schon vor 1939. Japan besetzte 1931 die Mandschurei und begann 1937 den Krieg gegen China mit Millionen von Toten schon vor 1939. Das faschistische Italien eroberte 1935 bis 1937 Äthiopien und unterwarf 1939 Albanien. Ab 1938 annektierte Nazideutschland Österreich und das Sudetenland und zerstörte den tschechoslowakischen Staat. Voraussetzung für den Überfall der Wehrmacht auf Polen war der Hitler-Stalin-Pakt, der Osteuropa in eine deutsche und sowjetische Interessensphäre teilte. Am 17. September 1939 marschierte die UdSSR in Ostpolen ein und annektierte es, ebenso wie danach Litauen, Lettland, Estland und Teile Rumäniens. Finnland konnte 1939/40 den Angriff der Roten Armee abwehren, muste aber Gebiete abtreten..

Es gibt erschreckende Parallelen zur heutigen Weltlage. Nach dem 2. Weltkrieg war die friedliche multilaterale Zusammenarbeit zur Richtschnur geworden. Die Vereinten Nationen ächteten Angriffskrieg und Androhung von Gewalt. Der Krieg verschwand nicht, wurde aber etwas eingehegt. Regionale Integration und Kooperation waren neue Formen der internationalen Zusammenarbeit.

Jetzt erleben wir die Abkehr vom Leitbild des kooperativen Multilateralismus hin zur brutalen Multipolarität miteinander konkurrierender Mächte. Ganz offen werden nationaler Egoismus und das Recht des Stärkeren proklamiert. Kleinere Staaten, Völkerrecht und Menschenrechte werden missachtet. Die neo-osmanische Türkei hat immer wieder Gebiete von Nachbarstaaten beansprucht und Teile Syriens besetzt. Venezuela will sich zwei Drittel von Guyana einverleiben. Die Volksrepublik China droht immer aggressiver mit der Eroberung ihres Nachbarstaats, der Republik China, auch bekannt als Taiwan. Trump schreit nach Inbesitznahme Kanadas, Grönlands, des Panamá-Kanals und des Gazastreifens. Russland droht nicht nur: Es hat 2014 die Krim annektiert und führt seit 2022 den Eroberungskrieg gegen die Ukraine. Israel verunmöglicht mit Krieg, Vertreibung und Besiedelung einen palästinensischen Staat.

Die westlichen Eliten, die so gern von der regelbasierten Weltordnung sprechen, haben diese Ordnung selbst untergraben. Sie führten völkerrechtswidrige Angriffskriege wie Kosovokrieg und Irakkrieg, machten nordafrikanische und westasiatische Länder zu Dauerschlachtfeldern und erhoben sich selbst arrogant zur interventionsberechtigten „Internationalen Gemeinschaft“. Heuchlerisch missachten sie die proklamierten Werte, wenn es ihren Interessen entspricht.

Es gibt noch eine weitere Parallele: Nach dem 1. Weltkrieg wurde den Verliererstaaten die sogenannte Wehrpflicht verboten. Nur kleine Berufsarmeen blieben gestattet. Das blieb nirgendwo so. Auch in Deutschland wurde 1935 der Zwang zum Kriegsdienst wieder eingeführt.

Seit den 1990ern hatten viele Staaten Europas den Zwang zum Militärdienst abgeschafft oder ausgesetzt, Deutschland 2011. Seit 2014 kehrt europaweit der Kriegsdienstzwang zurück und wird auch auf Frauen ausgedehnt. In Deutschland wurde die sogenannte Wehrpflicht nicht abgeschafft, sondern bewusst nur ausgesetzt. Deshalb kann sie jetzt mit einer Gesetzesänderung so einfach reaktiviert werden. Deshalb ist es auch keine „neue Wehrpflicht“, sondern die nie abgeschaffte alte. Wäre sie wirklich abgeschafft und aus dem Grundgesetz getilgt worden, wäre für die Wiedereinführung eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig.

Ab 2026 sollen ab Geburtsjahrgang 2008 alle Jugendlichen einen Fragebogen der Bundeswehr beantworten. Für Jugendliche mit männlichem Geschlechtseintrag ist es Zwang, für Frauen freiwillig. Lange hieß es, dass es zunächst noch um Freiwilligkeit ginge. Doch allein schon ein Zwangsfragebogen ist Zwang. Der nächste Zwang ist schon hinzugekommen: Zwangsmusterungen männlicher Jugendlicher ab Juli 2027. Die Bundeswehr kann zurzeit noch nicht wie früher ganze Jahrgänge einberufen. Je mehr die Kapazitäten der Bundeswehr wachsen, desto mehr Zwang ist vorprogrammiert. Anerkannte Kriegsdienstverweigerer werden voraussichtlich auch wieder zu Zivildienst gezwungen werden. Unklar ist, welche Folgen genau die Fragebogenantworten haben werden und wie Verweigerung von Fragebogen und Musterung bestraft werden wird.

Jede Zwangsrekrutierung ist eine Menschenrechtsverletzung und ein Akt der Gewalt. Dazu gehören Freiheitsberaubung und Aufhebung der Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, entwürdigende Musterungen, Gewissensprüfungen, Verfolgung von Verweigerung, Zerstörung von Lebens- und Berufsleben und letztendlich auch Verletzungen, Verstümmelungen, Traumata und Tod.

Viele wollen jetzt einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen. Das ist für Reservisten und Reservistinnen und Soldaten und Soldatinnen meist sinnvoll. Doch alle anderen, die bisher nicht gemustert worden sind, sind im Moment zu nichts verpflichtet. Wenn sie jetzt einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung abschicken, müssen sie sich mustern lassen und der Gewissensprüfung unterziehen. Wir empfehlen, abzuwarten, was das neue Gesetz beinhalten wird und wie es praktiziert werden wird. Mehr in unserer Kriegsdienstverweigerungsberatung und hier am DFG-VK-Infostand.

Noch ist die neue Kriegsdienstgesetzgebung nicht verabschiedet. Noch ist Zeit für Protest, Widerstand und juristische Schritte!

Nein zu allen Kriegs- und Zwangsdiensten!
Keine Reaktivierung, sondern Abschaffung der sogenannten Wehrpflicht!

Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung weltweit!

Asyl und Schutz für alle Menschen, die desertieren und sich dem Kriegsdienst verweigern!

Letztes Update: 02.09.2025, 10:27 Uhr