Aktuell > Ostermarsch Wiesbaden/Mainz 2010 > Rede von Gernot Lennert
Nach acht Jahren Krieg in Afghanistan fällt es sogar der Bundesregierung immer schwerer zu leugnen, dass die Bundeswehr in Afghanistan Krieg führt. Das Wort Krieg wird immer noch in Formulierungen wie „kriegsähnlich“ verpackt. Gelogen, vertuscht und verharmlost wird noch immer, aber der Ton wird schärfer und deutlicher.
<Nachtrag: am Tag nach der Rede meinte der regierungssprachlich Verteidigungsminister genannte Kriegsminister Guttenberg, man könne tatsächlich von Krieg sprechen, allerdings nur umgangssprachlich>
Guttenberg verlangt, dass die Bundesbürger zur Kenntnis nehmen, „dass Afghanistan ein gefährlicher Einsatzort ist, und dass – auch wenn wir uns das nicht wünschen - Soldaten in Afghanistan fallen und verwundet werden können.“
„Wer sich jetzt darüber aufregt, dass in einem kriegsähnlichen Umfeld auch auf Menschen geschossen wird, muss sich fragen lassen, in welcher Realität er lebt.“ So der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion Beck kurz nach dem Massaker von Kundus.
Man soll sich also schon einmal auf mehr Tote einstellen – so wie die drei toten Bundeswehrsoldaten von gestern - und sich über Massaker nicht mehr aufregen. Da nun noch mehr Soldaten nach Afghanistan geschickt werden und der Krieg intensiviert wird, sind viele weitere Tote vorprogrammiert.
Wenn die Bundesregierung so wie gestern den Krieg „Bewaffneter Konflikt im Sinne des Humanitären Völkerrechts“ nennt, klingt das verharmlosend. Gemeint ist das jedoch das Kriegsvölkerrecht, im völkerrechtlichen Sprachgebrauch als ius in bello bekannt. Doch was ist dieses Kriegsvölkerrecht? Es sind die Regeln des militärischen Abschlachtens, auf die sich die Staaten in diversen Konventionen geeinigt haben. Und was bedeutet seine Anwendung? Es ist das Eingeständnis, dass man sich auch juristisch im Krieg befindet. Bisher wurde es von zivilen Gerichten untersucht, wenn Bundeswehrsoldaten getötet haben. Doch wenn die Bundeswehr nach Kriegsrecht handelt, würde dies entfallen. Der nächste logische Schritt wäre eine separate Militärgerichtsbarkeit für die Bundeswehr ohne Kontrolle durch zivile Gerichte, wie sie seit Monaten immer wieder gefordert wird.
Die Kriegsbefürworter können nun immer mehr Klartext reden und müssen nicht länger irgendetwas von zivilem Aufbau, Demokratie, Menschenrechten oder gar Frauenrechten daherheucheln.
Das wäre auch nicht überzeugend, angesichts der verheerenden sozialen Indikatoren in Afghanistan, egal ob man sich die Kinder- und Müttersterblichkeit, die Versorgung mit Nahrung und sauberem Wasser oder die Lebenserwartung anschaut, und angesichts des korrupten und wahlfälschenden NATO-Marionettenregimes unter Karsai. Hilfsorganisationen klagen, dass sie als Teil der Besatzungsmacht angesehen werden und dass die Militärpräsenz ihre Arbeit gefährdet oder unmöglich macht. Doch sowohl Bundesregierung als auch die EU gehen in die entgegengesetzte Richtung: Entwicklungshilfe soll nicht primär der Armutsbekämpfung, sondern militärischen und machtpolitischen Interessen dienen. Bisher waren die Prioritäten deutlich: Deutschland gab von 2002 bis 2009 3,7 x mehr fürs Kriegführen in Afghanistan aus als für zivile Hilfe.
Deutschland werde am Hindukusch gegen Terrorismus verteidigt, heißt es. Was kommt dabei heraus? Allein im Jahr 2002 hatten islamistische Terroristen mehr Deutsche ermordet als die Rote Armee Fraktion in 27 Jahren zusammengenommen. Aber mit dieser Art von Terror können die Regierenden offenbar sehr gut leben. Denn die islamistischen Terroristen und Terroristinnen attackieren nicht die Mächtigen in Politik und Wirtschaft. Sie ermorden Menschen in den U-Bahnen von Moskau und London, in Zügen und Bahnhöfen in Madrid und Mumbai, nicht aber die wohlbehüteten Regierenden und Reichen. Der Afghanistan-Experte Hörstel nennt das in Bezug auf Afghanistan nicht Terror-Bekämpfung, sondern Terror-Management.
Es ist eine typische Spirale der Gewalt: Westlicher Staatsterror vor allem gegenüber Ländern des Nahen und Mittleren Ostens verstärkt den Terrorismus, den er angeblich bekämpfen will, der wiederum die willkommene Rechtfertigung für profitable Rüstungsgeschäfte und den Ausbau des Überwachungsstaats liefert. Trotz oder gerade wegen der Verteidigung am Hindukusch heißen islamistische Terroristen inzwischen Fritz und Daniel und kommen aus Deutschland.
Im Indischen Ozean bekämpft die deutsche Kriegsmarine Piraten, meist ehemalige somalische Fischer, denen europäische Fischfangflotten die Lebensgrundlage weggefischt haben. Auch hier schießt man lieber statt Ursachen zu bekämpfen.
Für einen Verbleib der Bundeswehr in Afghanistan fällt einigen nur noch ein, dass Deutschland sich aus Bündnissolidarität nicht allein zurückziehen dürfe. Kanada und die Niederland, zwei der eifrigsten NATO-Mitglieder, tun genau das.
Gemessen an den offiziell verkündeten Zielen sind die Auslandseinsätze der Bundeswehr ein Fehlschlag. Es stellt sich die Frage: Welche Ziele werden wirklich verfolgt?
Dass die BR Deutschland sich nach dem 2. Weltkrieg militärisch zurückhielt, galt als eine Errungenschaft. Nie wieder sollte von deutschem Boden Krieg ausgehen. Krieg galt als allerletztes Mittel. Seit den 1990er Jahren betreiben die deutschen Eliten die Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik. Die Teilnahme an internationalen Militäraktionen gilt seitdem, wie es der CDU-Politiker Lamers formulierte, „als notwendige Voraussetzung für deutschen Einfluss in der Weltpolitik“. Krieg ist zu einem nahezu selbstverständlichen Mittel der deutschen Außenpolitik geworden. Die einzelne Militäraktion muss nicht unmittelbar sinnvoll sein, wenn Prestige und ein deutscher ständiger Sitz im Weltsicherheitsrat angestrebt werden.
Das Weißbuch der Bundeswehr sagt relativ offen, dass es um Rohstoffe geht. Beim Bundeswehreinsatz im Kongo war das offensichtlich. Aber auch Länder, in denen wenig zu erbeuten ist, können aus geopolitischen Erwägungen besetzt werden.
Für den Krieg benötigt die Bundeswehr nach wie vor Menschen. Während die meisten europäischen Staaten den Zwang zum Kriegsdienst abgeschafft oder ausgesetzt haben, hält auch die neue Regierungskoalition daran fest. Auch wenn nur noch etwa ein Drittel eines Jahrgangs zum Militär- oder Zivildienst gezwungen wird, werden durch die Dienstverkürzung von neun auf sechs Monate demnächst statt 40.000 jungen Männern pro Jahr 50.000 in die Bundeswehr genötigt, also 10.000 mehr. Im Januar und Februar sind wieder zwei totale Kriegsdienstverweigerer zu Geld- und Haftstrafen verurteilt worden. Die Medien ereifern sich über erniedrigende Misshandlungen bei der Bundeswehr. Dass der Staat Menschen per Gesetz genau dorthin zwingt, gilt aber als normal.
Für ihre Auslands- und Kriegseinsätze will die Bundeswehr nur Freiwillige verwenden. Trotz Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit fällt es schwerer, sie zu rekrutieren. Denn es spricht sich herum, dass ein Bundeswehreinsatz kein Job wie jeder andere ist, dass so ein Arbeitsplatz todsicher sein kann. Wer freiwillig nach Afghanistan geht und dann tot, verkrüppelt und traumatisiert zurückkehrt, kann noch nicht einmal mit gesellschaftlicher Anerkennung oder gar Heldenverehrung rechnen. Denn eine wachsende Mehrheit der Bevölkerung lehnt den Afghanistankrieg ab. Umso massiver wirbt die Bundeswehr: in Schulen, in Fußgängerzonen, über Arbeitsagenturen, bei Berufsausbildungsmessen und bei Jugend-Festivals. Rheinland-Pfalz hat am 26. Februar als viertes Bundesland ein Kooperationsabkommen mit der Bundeswehr vereinbart, wonach die Bundeswehr nicht nur wie bisher die Schulen besucht, sondern von vorneherein die Lehrerausbildung und Unterrichtsinhalte mitgestaltet. Gegen diese neue Qualität der Rekrutierung und der militaristischen Indoktrination haben innerhalb von zwölf Tagen über 170 Personen eine Petition beim Petitionsausschuss des Landtags von Rheinland-Pfalz eingereicht. Sie kann immer noch unterstützt werden. Informationen am Infostand der DFG-VK hier auf dem Platz. Bundeswehr raus den Schulen!
Noch ein letztes Wort anlässlich der getöteten Bundeswehrsoldaten in Afghanistan: Zur Zeit wird niemand gezwungen, als Bundeswehrsoldat nach Afghanistan zu gehen. Und selbst Leuten, die sich schon bei der Bundeswehr verpflichtet haben, kann noch geholfen werden: sie müssen noch nicht einmal desertieren, sie können auch legal aus der Bundeswehr herauskommen, z.B. durch einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung. Wir helfen dabei.
Ich spreche hier für die Deutsche Friedensgesellschaft –Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen. Alle Mitglieder der DFG-VK haben folgende Grundsatzerklärung unterzeichnet:
„Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.“
Wir fordern daher den sofortigen Abzug der Bundeswehr und zwar sowohl aus Afghanistan, als auch aus allen anderen, oft totgeschwiegenen Kriegs- und Krisengebieten!
Wir fordern die Abschaffung des Zwangs zum Kriegsdienst in Deutschland und anderswo und die weltweite Anerkennung des Menschenrechtes auf Kriegsdienstverweigerung!
Wir fordern die Abschaffung der Bundeswehr und die Ächtung von Krieg und Militär weltweit!