Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Mainz-Wiesbaden

Rede von Tina Gewehr (DFG-VK Mainz)

Merhaba und Hallo

Mein Name ist Tina Gewehr.
Ich rede im Namen der DFG-VK, also der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner- und -gegnerinnen, sowohl der Gruppe Mainz, als auch für den Landesverband Rheinland-Pfalz.

Der Grund, warum ICH heute hier spreche ist ziemlich banal. Ich war eben schon mal in Sivas, wenn auch aus einem völlig anderen Grund, als dem, dem wir heute gedenken.

2005 war ich als Beobachterin eines Prozesses gegen  einen  Kriegsdienstverweigerer im Militärgefängnis von Sivas. Mehmet Tarhan, ein politischer Aktivist und Anarchist war angeklagt der Befehlsverweigerung und des „Ungehorsams vor versammelter Mannschaft“, nachdem er 2001 auf einer Pressekonferenz öffentlich seine Verweigerung bekannt gegeben hatte.

Wir sind in Sivas nur mit dem Bus am Hotel Madımak vorbei gefahren. Wer noch nie dort war, ich habe ein aktuelleres Bild dabei.
Es ist für mich unfassbar, was sich in dieser einspurigen Straße 1993 abgespielt hat. Sivas hat heute ca. 290.000 Einwohner. Die Vorstellung, dass sich ein, vor allem durch das Fernsehen aufgehetzter Mob von geschätzten 20.000 Menschen in den Straßen dieser Stadt versammelte um zuzusehen, wie alevitische Künstler, die sich friedlich trafen um miteinander zu diskutieren und zu feiern, verbrannten, geht über meinen Verstand.
Ich deute nicht mit dem Finger auf die Türkei! Die Progrome hier in Deutschland, etwa in Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen liefen ganz ähnlich ab. Über die gezielten Morde des NSU an Menschen mit  türkischer und griechischer Herkunft, und über die Blindheit auf dem rechten Auge unserer so genannten „Staatsschützer“ mag ich hier gar nicht sprechen.
Da der türkische Staat die Vorwürfe, dass sich einige der Täter in Deutschland aufhalten würden, und Haftbefehle nie in Deutschland angekommen seien, zurückweist, mag ich hier auch nicht zur Legendenbildung beitragen. Es wundert mich nur, dass einer dieser mutmaßlichen Täter in Deutschland eingebürgert wurde. Ich halte nichts von Verschwörungstheorien, aber die Frage muss erlaubt sein, ob dieser Mensch nicht bewusst dafür missbraucht wurde und wird, Menschen die dem türkischen Staat kritisch gegenüber stehen zu bespitzeln und zu denunzieren.
Auch habe ich kein gutes Gefühl hier vor dem türkischen Konsulat zu reden. Als ich 2005 aus der Türkei zurück kam und für die Freiheit von Mehmet Tarhan stritt, durfte ich das Generalkonsulat nicht betreten. Ich bin dann immerhin, gegen den Willen der deutschen Polizei und der Bodyguards des Konsuls bis zum Briefkasten vorgedrungen um unsere Unterschriftenlisten für die Freilassung von Mehmet abzugeben. Danach wurde ich fast bis vor meine Haustür verfolgt. 
Trotzdem rede ich hier: Wir, die Deutsche Friedensgesellschaft, Vereinigte Kriegsdienstgegner und – gegnerinnen arbeiten schon seit vielen Jahren mit der antimilitaristischen Bewegung in der Türkei zusammen und wenden uns täglich gegen Faschismus, Rassismus, Nationalismus, religiöse Konflikte, Militarismus und Homophobie.

Natürlich wusste ich, bevor ich damals in die Türkei geflogen bin, was in Sivas 1993 passiert ist. Einer der Menschen, der u.a. im Prozeß gegen Mehmet Tarhan für mich übersetzt hatte meinte lapidar: „Die Leute in Sivas haben sich seit dem nicht verändert“.

Heute ist in dem Gebäude meines Wissens nach eine Bibliothek und ein Kulturzentrum. Auch weisen Tafeln auf die Opfer des 2. Julis hin. Das ist gut aber zu wenig!  Unsere Forderung muss mit der alevitischen Gemeinschaft sein, dass das  Madımak-Hotel endlich zur Gedenkstätte wird und die Täter verfolgt und bestraft werden. Und, das „Massaker von Sivas“ muss genau so benannt werden und nicht, wie die türkische Regierung es verharmlosend nennt: „Das Ereignis von Sivas“.

Aziz Nesin,türkischer Schriftsteller und Überlebender des Massakers sagte damals er halte einen Großteil der türkischen Bevölkerung für „feige und dumm“, da sie nicht den Mut hätten, für die Demokratie einzutreten.
Ich denke Herr Nesin wäre oder ist heute stolz auf das zu schauen, was gerade in Istanbul und vielen anderen Städten in der Türkei passiert.

Im Gezi-Park, einer der wenigen grünen Punkte im Molloch Istanbul, sollten erst Kasernen gebaut, dann eine Shoping-Mall errichtet werden.
Erst ging es nur um Grünflächen, Bäume und einen Park.
Dann kamen Zehntausende zusammen, die nicht nur diese „örtliche“ Entscheidung hinterfragten, sondern das gesamte „System“.

Aus einer Bewegung, die den Gezi-Park verteidigen wollte, ist,  eine Bürgerbewegung geworden, die sich gegen ein repressives System einsetzt.
Erdoğan, arbeitet meiner Meinung nach massiv gegen das, was  die Menschen in der Türkei  fordern. Einen demokratischen und säkularen Staat.
Wir, als Deutsche Friedensgesellschaft- Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, unterstützen weder die Rufe der Menschen, die sich als „Soldaten“ von Mustafa Kemal Atatürk bezeichnen, und schon gar nicht die, die sich „ Soldaten Tayyips“ nennen..
Der Ruf „ Wir sind niemands Soldaten“ wird auch in der Türkei immer lauter.
… und dafür stehen wir und stehe ich hier!

Die Grundsatzerklärung der WRI, also der „War Resisters International“, also die Internationale der Kriegsdienstgegner und -gegnerinnen, sozusagen unserer weltweiten Mutterorganisation lautet:

„Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.“

Dies gilt für mich weltweit und nicht nur in den so genanten „großen“ Kriegen etwa in Afghanistan oder im Irak, sondern auch da, wo eine Regierung Krieg gegen Ihr eigenes Volk führt, wie z.B. jetzt auf dem Taksim-Platz in Istanbul und anderswo in der Türkei!

Unsere Solidarität gilt heute Euch und Ihnen, den Menschen, die sich hier versammelt haben um den Opfern von Sivas zu gedenken, aber auch den Menschen in der Türkei, die für ihre Menschenrechte und gegen einen repressiven Staat auf die Straße gehen. Und hier schließt sich dann auch wieder der Kreis. Viele Menschen die sich in Istanbul und Ankara für die Freilassung von Mehmet Tarhan eingesetzt haben, stehen auch heute in der ersten Reihe auf dem Taksim-Platz. Ich habe einige davon im deutschen Fernsehen wieder erkannt.

Teşekkürler!
Vielen Dank fürs Zuhören und dass ich hier heute reden durfte!

Letztes Update: 02.07.2013, 20:51 Uhr