Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Mainz-Wiesbaden

Nein zu Kriegs- und Zwangsdiensten!

Rede von Dr. Gernot Lennert, Landesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Rheinland-Pfalz
bei der Kundgebung zum Antikriegstag in Mainz, 31. August 2024

 
In den 1990ern begannen Staaten in Europa die sogenannte Wehrpflicht abzuschaffen oder auszusetzen. Das Militär wurde drastisch verkleinert. Es sollte eine professionelle Truppe für Interventionen im Ausland sein, keine Massenarmee von Zwangssoldaten.

2011 wurde die Militärdienstpflicht auch in Deutschland ausgesetzt, aber nicht abgeschafft. Das Wehrpflichtgesetz ist immer noch in Kraft. Männer sind zum Kriegsdienst verpflichtet, aber seit 2011 wurde niemand zwangsweise gemustert oder zu Bundeswehr oder Zivildienst einberufen und mit Gefängnis wegen Kriegsdienstverweigerung bedroht. Die Zwangsrekrutierung tritt im Spannungs- und Verteidigungsfall automatisch wieder in Kraft. Der Bundestag kann sie mit einfacher Mehrheit reaktivieren. Genau das hat nun Kriegsertüchtigungsminister Pistorius angedroht.

Warum sogenannte Wehrpflicht? Wehrpflicht und Wehrdienst und davon abgeleitete Begriffe suggerieren bezüglich des zwischenstaatlichen Verhältnisses, dass das Militär der Verteidigung diene. Allerdings haben sogenannte Wehrdienstleistende schon viele Angriffskriege geführt. Das gilt gerade für Deutschland. Im Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Staat ist der Begriff ebenfalls abwegig. Wehrdienst leisten gerade diejenigen, denen es nicht gelingt, sich erfolgreich gegen die Rekrutierung zum Militär zu wehren. Deshalb verwende ich diese sachlich unzutreffenden und realitätsverschleiernden Propagandabegriffe nicht.

International hatte sich der Trend schon 2014 gedreht, nach der Annexion der Krim durch Russland: Norwegen dehnte die Zwangsrekrutierung auf Frauen aus. Die Ukraine, Litauen, Georgien und Schweden haben die Kriegsdienstpflicht wiederbelebt. In Frankreich startete 2019 der Service national universel.

In der in Deutschland seit Jahren laufenden Kampagne für Zwangsdienste werden oft keine militärischen Argumente angeführt. Man stellt zivile angeblich soziale Dienste in den Vordergrund und behauptet, sie würden zu mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt und zu weniger Egoismus führen. Militär und Heldentod fürs Vaterland sind nach zwei Weltkriegen nicht mehr populär. Wer also den Zwang zum Militärdienst will, versteckt sich gern hinter der Forderung nach zivilen Diensten, die man versucht, als nützlich und sozial zu verkaufen. Doch das hat Pistorius nicht mehr nötig. Bei ihm geht es klar um Krieg.

Jede Zwangsrekrutierung ist eine Menschenrechtsverletzung und ein Akt der Gewalt mit Freiheitsberaubung und Aufhebung der Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, und bedeutet auch entwürdigende Musterungen, Gewissensprüfungen, juristische und politische Verfolgung sowie die Zerstörung von Lebens- und Berufswegen. Zwangsrekrutierung führt oft zu Verletzungen, Verstümmelungen, Traumata und letztendlich auch zum Tod.

Die Bundeswehr gebärdet sich als Verteidigungsarmee. Doch das war sie nie. Denn jede Armee, die Menschen zwangsrekrutiert, ist ihnen gegenüber eine Angriffsarmee.
Aus friedenspolitischen und menschenrechtlichen Erwägungen lehnen wir Zwangsdienste ab.

Wie könnte das kommende Kriegsdienstzwanggesetz aussehen? Die Kapazität der Bundeswehr reicht nicht aus, um ganze Jahrgänge in Kasernen einzusperren und zu quälen. Angekündigt ist ein Fragebogen der Bundeswehr, den Männer ausfüllen müssen, den Frauen freiwillig ausfüllen können. Unklar ist, wer dann zur Musterung gezwungen wird, wer einberufen wird und welche Strafen für Verweigerung von Fragebogen und Musterung vorgesehen sind. Die Maßnahmen werden zunächst nicht alle Dienstpflichtigen direkt betreffen werden und noch relativ harmlos wirken, aber nach und nach ausgeweitet werden. Es ist damit zu rechnen, dass wie anderswo in Europa Frauen auch einbezogen werden. Früher hat man es für normal gehalten, dass nur Männer ins Militär gezwungen werden. Eine solche Diskriminierung von Männern gilt heute als nicht mehr akzeptabel. Um Frauen ins Militär zu zwingen, müsste das Grundgesetz geändert werden. Wir haben bei den 100 Milliarden Sonderschulden für Aufrüstung gesehen, wie blitzschnell das gehen kann.

Was tun? Zurzeit wächst die Angst, in die Bundeswehr oder gar in einen Krieg gezwungen zu werden. Manche empfehlen nun, vorsorglich einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu stellen. Ob es sinnvoll und überhaupt möglich ist, einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu stellen, hängt sehr stark davon ab, in welcher Situation sich die Betreffenden befinden. Was für die einen empfehlenswert ist, ist für die anderen oft nicht ratsam. Gesetzeslage und Praxis ändern sich. Anträge auf Kriegsdienstverweigerungsanträge sind oft, aber nicht immer, sinnvoll bei Leuten, die schon ins Bundeswehrsystem hineingeraten sind: 1. Soldaten und Soldatinnen. 2. Reservisten und Reservistinnen und Leute, die irgendwann einmal gemustert worden sind, aber dann keinen Bundeswehrdienst geleistet haben. Wenn sogenannte "Ungediente" einen Antrag auf KDV stellen, werden sie zur Musterung geladen, der dann die Gewissensprüfung folgt. Sie unterwerfen sich ohne Not zwei Menschenrechtsverletzungen, der Musterung und der Gewissensprüfung, und sie müssen auch bedenken, dass der Antrag abgelehnt werden kann.

Die Gewissensprüfung ist ein Willkürverfahren. Anerkannt oder abgelehnt wird gemäß den Personalwünschen der Bundeswehr. Im Fall der Anerkennung und einer etwaigen Einberufung muss Zivildienst geleistet werden, also im Kriegsfall ein waffenloser Dienst für den kriegführenden Staat. Der Ersatzdienst ist nicht nur Kriegsdienst ohne Waffen, sondern auch Freiheitsberaubung und Ausbeutung. Sozial ist er nicht, weil er Arbeitsplätze vernichtet und im jeweiligen Bereich zu niedrigen Löhnen beiträgt.

Welche Folgen ein Antrag, der jetzt gestellt wird, bei einer neuen Gesetzeslage haben wird, ist nicht absehbar. Es zeichnet sich ein Szenario wie in den Nullerjahren ab: Die geschrumpfte Bundeswehr konnte damals nur wenige einberufen. Aber im Zivildienst war Platz. Wer einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellte, wurde leicht anerkannt, landete aber ziemlich sicher im Zivildienst. Wer keinen Antrag stellte, hatte gute Chancen, ganz in Ruhe gelassen zu werden.

Wer Zwangsrekrutierung verhindern will, kämpft am besten jetzt dafür, dass die sogenannte Wehrpflicht nicht nur ausgesetzt bleibt, sondern ganz abgeschafft wird. Wenn möglichst viele jetzt signalisierten, dass sie auf keinen Fall für Krieg und Zwangsdienste zur Verfügung stehen, wäre das eine klare Botschaft. Die DFG-VK bereitet eine solche Kampagne vor.

Keine Zwangsdienste, weder militärisch noch zivil!
Keine Reaktivierung der sogenannten Wehrpflicht! Abschaffung des Kriegsdienstzwangs!
Für das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung!
Solidarität mit Kriegsdienstverweigerern und Kriegsdienstverweigerinnen in aller Welt!
Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Kriegsdienstverweigerinnen, Deserteure und Deserteurinnen!

 

Letztes Update: 09.09.2024, 21:51 Uhr